Der Vampir der mich liebte
Prima.
Ich holte tief Luft und stürzte mich in die Tiefen der Verlogenheit. »Ich war auf dem Weg von der Arbeit nach Hause«, begann ich. »Ich arbeite in Merlotte's Bar - Sie wissen, wo das ist?«
Beide nickten. Natürlich, die Polizei kannte jede Bar in ihrem Bezirk.
»Ich sah jemanden am Straßenrand liegen, im Schotter des Seitenstreifens«, erzählte ich, mich vorsichtig vortastend, damit ich nicht etwas sagte, das ich nicht mehr zurücknehmen konnte. »Also hielt ich an. Sonst war niemand zu sehen. Als ich merkte, dass sie noch lebte, wusste ich, ich muss ihr helfen. Hat mich ziemlich viel Zeit gekostet, sie allein ins Auto zu hieven.« Ich versuchte, plausible Erklärungen zu liefern für den Zeitraum, der seit meiner Abfahrt vom Merlotte's verstrichen war, und für den Kies von Bills Auffahrt, den sie bestimmt in ihrer Haut finden würden. Es war schlecht abzuschätzen, wie vorsichtig ich vorgehen musste, damit sie mir die Geschichte auch wirklich abnahmen. Aber lieber zu viel Vorsicht als später das Nachsehen haben.
»Gab es irgendwelche Bremsspuren auf der Straße?« Der hellbraune Polizist konnte es nicht aushalten, keine Fragen zu stellen.
»Nein, keine. Vielleicht waren da welche. Ich war nur - als ich sie sah, konnte ich nur noch an sie denken.«
»Und?«, forderte mich der ältere Mann auf, weiterzuerzählen.
»Ich konnte erkennen, dass sie ziemlich schwer verletzt war. Also habe ich sie auf dem schnellsten Weg hierher gefahren.« Ich zuckte die Achseln. Damit war meine Geschichte beendet.
»Sie haben nicht daran gedacht, einen Krankenwagen zu rufen?«
»Ich habe kein Handy.«
»Eine Frau, die so spät nachts allein von der Arbeit nach Hause fährt, sollte unbedingt ein Handy dabeihaben, Ma'am.«
Ich machte den Mund auf und wollte ihm sagen, dass ich sehr gern eins hätte, wenn er die Rechnung dafür zahlen würde, hielt mich dann aber zurück. Ja, es wäre praktisch, ein Handy zu besitzen, aber ich konnte mir kaum meinen normalen Festnetzanschluss leisten. Mein einziger Luxus war Kabelfernsehen, und das rechtfertigte ich vor mir selbst damit, dass es schließlich mein einziges Freizeitvergnügen war. »Ich weiß«, sagte ich knapp.
»Wie lautet Ihr vollständiger Name?« Wieder der jüngere Mann. Ich sah auf und blickte ihm direkt in die Augen.
»Sookie Stackhouse«, sagte ich. Er dachte gerade, dass ich anscheinend ein bisschen schüchtern sei, aber ganz süß.
»Sind Sie die Schwester des Mannes, der vermisst wird?« Der grauhaarige Polizist beugte sich herab und sah mir ins Gesicht.
»Ja, Sir.« Ich sah wieder auf meine Schuhspitzen.
»Sie haben da aber eine ganz schöne Pechsträhne, Miss Stackhouse.«
»Das können Sie laut sagen«, erwiderte ich aufrichtig und mit einem Zittern in der Stimme.
»Haben Sie diese Frau schon mal gesehen, diese Frau, die Sie hierher gebracht haben? Ich meine, vor heute Nacht?« Der ältere Polizist schrieb etwas in ein kleines Notizheft, das er aus seiner Brusttasche gezogen hatte. Er hieß Curlew, wie auf seinem Namensschild zu lesen war.
Ich schüttelte den Kopf.
»Glauben Sie, Ihr Bruder könnte sie gekannt haben?«
Erschrocken blickte ich auf. Wieder sah ich dem hellbraunen Mann in die Augen. Er hieß Stans. »Woher zum Kuckuck soll ich das wissen?« Aber schon im nächsten Augenblick war mir klar, dass er bloß noch mal von mir angesehen werden wollte. Er hatte keine Ahnung, was er von mir halten sollte. Der monochrome Stans fand mich einerseits hübsch und hielt mich für so eine Art guten Samariter. Andererseits hatte ich einen Job, den brave gebildete Mädchen nicht so häufig ausübten, und mein Bruder besaß einen Ruf als Raufbold, auch wenn viele der Streifenpolizisten ihn mochten.
»Wie geht es ihr?«, fragte ich.
Sie sahen beide zur Tür hinüber, hinter der der Kampf um das Leben der jungen Frau immer noch andauerte.
»Sie lebt«, antwortete Stans.
»Die Arme«, sagte ich. Tränen rannen mir über die Wangen, und ich wühlte in meinen Taschen nach einem Taschentuch.
»Hat sie irgendwas zu Ihnen gesagt, Miss Stackhouse?«
Darüber musste ich nachdenken. »Ja«, erwiderte ich. »Hat sie.« Wieder so ein Moment, in dem die Wahrheit das Sicherste war.
Die Gesichter der beiden hellten sich auf bei dieser Neuigkeit.
»Sie hat mir ihren Namen gesagt. Und sie sagte, dass ihre Beine am meisten schmerzen, als ich sie danach fragte«, erzählte ich. »Und sie sagte, dass das Auto sie erfasst hat, aber nicht über sie drübergefahren
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