Der Vampir der mich liebte
winzige Chance, dass Jason tatsächlich irgendwo da draußen im Wald war. Catfish sagte, er hätte so viele Männer wie möglich zusammengetrommelt, und Kevin Pryor hatte sich zum Koordinator machen lassen, wenn auch nur außer Dienst. Maxine Fortenberry und ihre Kirchenfrauen wollten Kaffee und Krapfen aus der Bäckerei von Bon Temps vorbeibringen. Ich begann zu weinen, das war einfach überwältigend, und Catfish wurde noch röter im Gesicht. Weinende Frauen standen sehr weit oben auf der Liste der Dinge, die ihn beklommen machten.
Um ihn aus dieser Situation zu erlösen, sagte ich, ich müsse mich schnell noch fertig machen. Ich schüttelte schnell mein Bett auf, wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und band mein Haar zum Pferdeschwanz. Dann holte ich ein Paar Ohrenschützer hervor, die ich vielleicht einmal im Jahr benutzte, zog meinen alten Mantel an und stopfte meine Gartenarbeitshandschuhe in die Taschen sowie eine Packung Taschentücher, falls ich wieder weinen musste.
Die Suchaktion war das Ereignis des Tages in Bon Temps. In unserer kleinen Stadt halfen die Leute nicht nur gern - inzwischen kursierte natürlich auch das Gerücht über den Fußabdruck des geheimnisvollen wilden Tiers. Soweit ich mitbekam, war das Wort »Panther« bislang nicht in Umlauf, sonst wäre der Menschenauflauf noch viel größer gewesen. Die meisten Männer waren bewaffnet gekommen - na ja, die meisten Männer waren ohnehin immer bewaffnet. Die Jagd gehört in unserer Gegend zum täglichen Leben, fast alle Autoaufkleber stammen von der »National Rifle Association« und die Hirschjagd kommt geheiligten Feiertagen gleich. Es gibt jeweils festgelegte Zeiten für die Hirschjagd mit Pfeil und Bogen, mit Vorderladern oder mit Büchsen. (Vielleicht auch für die Jagd mit dem Speer, würde mich nicht wundern.)
Es waren ungefähr fünfzig Leute bei Jasons Haus versammelt. Eine ganz ordentliche Ansammlung für einen Wochentag in einer so kleinen Stadt.
Sam war auch da, und ich freute mich so sehr darüber, dass ich fast schon wieder in Tränen ausbrach. Er war der beste Boss, den ich je hatte, und ein Freund, der immer für mich da war, wenn ich in Schwierigkeiten steckte. Sein rotgoldenes Haar war mit einer hellorangen Strickmütze bedeckt, und er trug ebenso hellorange Handschuhe. Seine schwere braune Jacke wirkte im Kontrast dazu düster, und wie alle anderen Männer trug er Arbeitsstiefel. Niemand ging jemals in den Wald, ohne die Knöchel zu schützen. Schlangen waren im Winter zwar langsam und phlegmatisch, aber sie waren da, und sie revanchierten sich sofort, wenn jemand auf sie trat.
Die Anwesenheit dieser vielen Menschen ließ Jasons Verschwinden irgendwie noch schlimmer erscheinen. Wenn all diese Leute glaubten, Jason könnte tot oder schwer verletzt draußen im Wald liegen, dann war es vielleicht so. Ich appellierte immer wieder an meine Vernunft, doch meine Angst stieg mehr und mehr. Ein paar Minuten lang setzte bei mir alle bewusste Wahrnehmung aus, und Vorstellungen davon, was Jason alles zugestoßen sein könnte, bevölkerten meine Phantasie zum etwa hundertsten Mal.
Sam stand neben mir, als ich wieder zu mir kam. Er hatte einen Handschuh ausgezogen und mich bei der Hand gefasst. Seine Hand fühlte sich warm und hart an, und ich war froh, dass ich mich an ihm festhalten konnte. Obwohl Sam ein Gestaltwandler war, konnte er mir seine Gedanken öffnen, auch wenn er mich seinerseits nicht zu »hören« vermochte.
Glaubst du wirklich, dass er da draußen ist? , fragte er mich.
Ich schüttelte den Kopf. Unsere Blicke trafen sich und verweilten beieinander.
Glaubst du, dass er noch lebt?
Das war viel schwerer zu beantworten. Schließlich zuckte ich nur die Achseln. Er hielt mich weiter fest an der Hand, und ich war froh darüber.
Arlene und Tack kletterten aus Arlenes Auto und kamen auf uns zu. Arlenes Haar war so leuchtend rot wie immer, aber ein wenig zerzauster als sonst, und der neue Koch war unrasiert. Er hatte also noch keinen Rasierapparat bei Arlene deponiert, schloss ich daraus.
»Hast du Tara gesehen?«, fragte Arlene.
»Nein.«
»Guck mal da.« So verstohlen wie möglich zeigte sie zu ihr hinüber, und ich entdeckte Tara in Jeans und Gummistiefeln, die ihr bis an die Knie reichten. Sie glich ganz und gar nicht der stets sorgfältig gekleideten Besitzerin eines Modegeschäfts, die ich kannte; auch wenn sie einen bezaubernden Webpelzhut in Weiß und Braun trug, über den man sofort mit der Hand streichen
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