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Der Vampir

Der Vampir

Titel: Der Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carter Brown
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rechteckigen Zwischenräume lief dort nur eine
etwa halbmeterhohe Brüstung. Ich blieb stehen und betrachtete sie eine Weile,
wobei ich mir beiläufig überlegte, ob der Original-Bastard damals vielleicht
beabsichtigt hatte, dort eine Kanone aufzustellen. Dann drehte ich den Kopf und
blickte auf den der Stelle gegenüberliegenden Teil der Turmwand . Irgend etwas war seltsam an
dieser Stelle, und eine ganze Weile kam ich nicht dahinter, was es war, bis ich
feststellte, daß es dort einen Schatten gab, wo keiner etwas zu suchen hatte.
Es handelte sich um eine glatte Oberfläche, auf die ungehindert der Mondschein
fiel, und es gab nichts, was einen Schatten werfen konnte.
    Als ich die Wand dort
abtastete, wo sich der Schatten befand, entdeckte ich, daß dort eine
Steinplatte vertieft eingelassen war und sich unter meinen Fingern bewegte.
Ohne jeden ersichtlichen Grund verspürte ich plötzliche Nervosität und zog
schnell die Hand weg. Zwei weitere Rundgänge um den Turm trugen nichts dazu
bei, dieses Gefühl der Unsicherheit zu zerstreuen. Aber dann blieb ich erneut
vor dem Schattenfleck stehen und starrte darauf. So wie dieses ganze verdammte
Schloß hier gebaut und wie eine Bienenwabe mit Geheimgängen durchzogen war,
konnte es sich hier durchaus um eine Art geheimer Öffnung handeln. Es drehte
sich nur darum, daß ich, falls sich ein Teil des Mauerwerks wirklich drehte,
keine Lust hatte, in den Turm hineingefegt zu werden, ohne zuerst einen Blick
ins Innere geworfen zu haben.
    Ich ließ mich auf Hände und
Knie nieder, schob dann die Hand in die Vertiefung und drückte kräftig auf das
eine Ende der Steinplatte. Im selben Augenblick, als ich das schwache Klicken
hörte, warf ich mich flach auf den Bauch und wartete. Hinter der Mauer ertönte
ein leises Rumpeln, ein schwirrender Laut, und etwas sauste mit erschreckendem
Zischen über meinen Kopf hinweg. Ich wartete zehn quälende Sekunden lang, bis
ich einigermaßen davon überzeugt war, daß nichts weiter passieren würde, und
kroch dann ein kleines Stück weit zurück, bevor ich aufstand.
    Unmittelbar vor mir stand, starr
und massig im Mondlicht, der Original-Bastard! Seine in eine Rüstung gehüllte Gestalt
stand dort, und er starrte unerbittlich hinaus auf die See, wo seine Feinde
erscheinen mußten, und das lange Schwert in seiner Rechten glitzerte hell. Als
mein Kopf zu wirbeln aufgehört hatte, wurde mir klar, daß es sich nicht um
Wirklichkeit, sondern um eine künstliche Figur handelte. Ich trat mit
taumelndem Schritt näher und sah, daß die Figur in Bronze gegossen und das
Visier hochgeschoben war, so daß das Gesicht halb verhüllt wurde. Ein hartes,
grausames Gesicht, mit räuberischen Nüstern und bösartigen Augen unter schweren
Lidern. Das lange Schwert in seiner rechten Hand stand horizontal zum Boden der
Zinnen und hätte — ich schluckte, als mir diese Erkenntnis kam — mich glattweg
über den Rand in die Tiefe gefegt, wenn ich aufrecht stehengeblieben wäre,
nachdem ich den Mechanismus ausgelöst hatte.
    »Der Schwarze Ritter bittere
Rache nahm, auf heimlichen Flügeln der Tod herankam«, hatte Onkel Silas in dem unter dem Schloßgraben hindurchführenden Gang zitiert. Nur mußte es sich um Alaric selber gehandelt
haben, der die Figur als eine Art Falle in der Mauer installiert hatte. Ich
fragte mich flüchtig, ob er wohl in seiner eigenen Falle gefangen worden war.
Vielleicht hatte er sie ausprobiert, oder der Mechanismus hatte nicht richtig
funktioniert und die Figur war hervorgesaust, als Alaric es nicht erwartet
hatte. Das konnte die Ursache des entsetzten Ausdrucks auf seinem Gesicht
gewesen sein, als man seine Leiche zu Füßen des Wachtturms gefunden hatte, und
ebenso konnte es die Ursache für die Entstehung der Sage sein, daß der Schwarze
Ritter für diesen geheimnisvollen Tod verantwortlich sei. Ein schwacher
schwirrender Laut ließ mich zurückfahren, und gleich darauf fuhr die Figur
wieder zurück in die Mauer. Vermutlich war dies der eigentliche Trumpf; bis
jemand Alarics Leiche entdeckt und anschließend die Spitze des Turms erklommen
hatte, war jede Spur, die darauf hinweisen konnte, was geschehen war,
verschwunden. Das erklärte auch den Ausdruck »auf heimlichen Flügeln«.
    Ich holte die Kerze aus dem
offenen Torbogen und setzte den Mechanismus erneut in Gang. Als die Bronzefigur
herausgefahren war, stand ich auf und blickte in die Öffnung hinter ihr. Dann
trat ich ins Dunkel hinein, wobei ich darauf achtete, hinter mir

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