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Der Vater des Attentäters (German Edition)

Der Vater des Attentäters (German Edition)

Titel: Der Vater des Attentäters (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Hawley
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zusammenpassenden Kleidern, das lange Haar zerzaust, den Pullover voller Löcher. Das verlieh ihm ein gewisses Künstlerflair, was seinen Status bei den mausgrauen Studentinnen nur noch festigte. In der Cafeteria aß er meist Müsli, auch ohne Milch, aß die Getreideflocken mit den Fingern aus der Schüssel und las dabei (erst Bücher über Jesse James und Billy the Kid, dann Science-Fiction-Schmöker über kommende Roboterkriege, später philosophische Werke von Rousseau, Thomas von Aquin und Kierkegaard, die sich halb zerfleddert und voller Eselsohren neben seinem Bett stapelten).
    Angesichts seines Lesehungers hätte man ihn für einen ernsten, ehrgeizigen jungen Mann halten können, wäre da nicht der Umstand gewesen, dass er keine seiner Lektüren beendete. Er kam plötzlich auf eine neue Idee, begeisterte sich für etwas anderes: Ich sollte Japanisch lernen , und zwei Wochen, vielleicht auch einen Monat lang verschrieb er sich seiner Idee auf Kosten des übrigen Lehrplans. Aber genauso schnell, wie es entstanden war, verflog sein Interesse auch wieder und entpuppte sich als bloße Laune, die durch eine neue ersetzt wurde: Ich sollte fechten lernen . So ging es immer weiter, mit halb gelesen Büchern, angefangenen Projekten.
    In seiner Sprunghaftigkeit, das wurde ihm allmählich klar, war er wie seine Mutter, die auch immer wieder von Phasen manischen Interesses gepackt wurde, um gleich anschließend in Lethargie und Gelangweiltsein zu verfallen. Diese Ähnlichkeit konnte Danny nicht gefallen, und als er sich dessen bewusst wurde, versank er in Niedergeschlagenheit und Grübeleien, verbrachte ganze Tage im Bett von tiefen Ängsten gepeinigt, von der Furcht, zu keinem tiefergehenden, richtigen Leben fähig zu sein, sondern nur ein Träumer, der nichts zu Ende brachte. Der Umstand, dass das College diese Art von «Experimentieren» unterstützte, ließ ihn an der Qualität und den Motiven dieser höheren Bildungsanstalt zweifeln. Wo war die Struktur? Weshalb forderte man von den Studenten nicht mehr Pflichtbewusstsein, mehr Lerneifer? Er war zu Hause mit nur wenigen Regeln aufgewachsen, und wenn es zunächst auch so ausgesehen hatte, als bräuchte er in der Hochschule ein ähnliches Umfeld, wurde ihm in jenen grüblerischen, trägen Tagen doch klar, dass er sich ohne Führung zu verlieren, ja zu verschwinden drohte.
    Und dann kam ihm dieser Gedanke. Der Gedanke, wirklich und leibhaftig zu verschwinden. Er wurde zu seiner nächsten Obsession. Vielleicht lag dort ja die Antwort, im Verschwinden und Loslassen, und zwar nicht auf halbherzige Weise, sondern ernsthaft, grundsätzlich. Alles hinter sich zu lassen, sich zu verlieren, sich treiben zu lassen, ohne erkennbare Bezugspunkte, ohne vertraute Gesichter. Es war eine romantische, unter jungen Männern seines Alters vergleichsweise weit verbreitete Vorstellung, obwohl ihm das in diesem Moment nicht bewusst war.
    Er wollte einfach nur drauflosfahren und sich dadurch am Ende finden. Sein wahres Selbst.
    Am zweiten Tag seiner Reise fuhr er weiter nach Westen, vier Stunden lang in Richtung Chicago. Er kannte an der DePaul University zwei Brüder, mit denen er zur Highschool gegangen war, Craig und Stephen Foreman. Die beiden wohnten in einem Haus am West Haddock Place, beim Chicago River.
    Danny verbrachte den Abend mit den Foreman-Brüdern in einem Pub namens Elephant & Castle. Mit seiner Visakarte gab er mehr als zweihundert Dollar für Getränke aus. Sowohl Craig als auch Stephen sagten später aus, Danny sei an jenem Abend bester Laune gewesen, beschwingt, fast schon überdreht. Kurz nach elf lernte er an der Bar ein Mädchen kennen und ging schließlich mit zu ihr nach Hause. Der vom Secret Service befragte Barmann wusste, dass sie Samantha Houston hieß. Sie war zweiundzwanzig, eine Schwesternschülerin von der University of Chicago.
    Danny blieb zwölf Tage in Chicago. Davon schlief er vier Nächte bei Samantha, acht im Haus der Foreman-Brüder. Am 17. März sah er im United Center ein Spiel der Chicago Bulls gegen die Memphis Grizzlies. Zusammen mit Stephen und Craig saß er nur drei Reihen vom Spielfeld entfernt, Vater Foreman hatte seinen Söhnen Saisonkarten geschenkt. Ich habe mir das Spiel auf Video angesehen. Es gibt eine Einstellung im zweiten Viertel, in der Dannys Gesicht zu erkennen ist. Die Grizzlies haben eine Auszeit genommen, die Kamera schwenkt aufs Publikum, und da, lachend, sitzt mein Sohn. Er hält einen Becher Bier in der Hand, hat sich leicht

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