Der Vater des Attentäters (German Edition)
den aktiven Dienst. Sie schickten ihn nach Camp Lejeune in North Carolina. Er hasste das Marinekorps und ließ sich das auch anmerken. Im November 1963 kam er wegen Glücksspiel, Wucher und unerlaubten Besitzes einer nichtmilitärischen Waffe vor ein Militärgericht und wurde zu dreißig Tagen Arrest und neunzig Tagen Zwangsarbeit verurteilt. Ein Jahr später wurde er ehrenhaft aus der Marine entlassen.
Zurück in Austin, schrieb er sich wieder an der Uni ein. Er war entschlossen, die verlorene Zeit aufzuholen, und dann plötzlich, wie aus dem Nichts, erlitt er Anfälle blinder Wut. Seine Frau überredete ihn, zu einem Psychiater zu gehen. Whitman saß in dessen Praxis und erzählte ihm, er habe Phantasien, in denen er auf den Uhrenturm klettere und mit einem Jagdgewehr auf die Menschen unten schieße. Die Psychiater sagte ihm, er solle in einer Woche wiederkommen, es gehe voran.
Whitman fing an, sich selbst mit Dexedrine zu therapieren. Er hoffte, die Kapseln würden ihm mehr Energie und Konzentration verleihen, tatsächlich aber ließen sie ihn nachlässiger werden. Er schlief tagelang nicht, saß am Küchentisch herum und versuchte sich zu organisieren.
Am 31. Juli kaufte er in einem Army-Laden ein Jagdmesser und ein Fernglas, bei 7-Eleven außerdem einige Fleischkonserven. Er holte Kathy von der Arbeit ab und ging mit ihr essen. Als sie zurück nach Hause kamen, setzte er sich hin und schrieb folgenden Brief:
Sonntag, 31. Juli 1966, 18.45 Uhr
Ich weiß nicht, was mich dazu bringt, diesen Brief zu schreiben. Vielleicht ist es der vage Versuch, zu begründen, was ich zuletzt unternommen habe. Ich verstehe mich dieser Tage selbst nicht richtig. Ich soll ein durchschnittlich vernünftiger, intelligenter junger Mann sein, werde jedoch seit einiger Zeit (ich kann mich nicht erinnern, wann es angefangen hat) von lauter ungewöhnlichen, krankhaften Gedanken heimgesucht. Diese Gedanken kehren ständig wieder, und es bedarf einer ungeheuren geistigen Anstrengung, mich auf nützliche und produktive Aufgaben zu konzentrieren. Als sich meine Eltern im März trennten, empfand ich das als eine große Belastung. Ich suchte Dr. Cochrum im University Health Center auf und bat ihn, mir jemanden zu empfehlen, an den ich mich mit einigen psychiatrischen Störungen wenden könne, unter denen ich zu leiden glaubte. Ich hatte ein etwa zweistündiges Gespräch mit einem Arzt und versuchte ihm meine Ängste darüber begreiflich zu machen, dass ich von schier unwiderstehlichen Gewaltimpulsen heimgesucht wurde. Nach dieser einen Sitzung habe ich den Arzt nicht wieder aufgesucht und bekämpfe meine geistige Unruhe allein, anscheinend ohne Erfolg. Nach meinem Tod soll man eine Autopsie an mir vornehmen, um zu sehen, ob ich unter einer erkennbaren körperlichen Störung leide. Ich habe zuletzt immer wieder fürchterliche Kopfschmerzen gehabt und in den letzten drei Monaten zwei große Flaschen Excedrin verbraucht.
Whitman ließ Kathy zu Hause zurück und fuhr zur Wohnung seiner Mutter. Er würgte sie mit einem Stück Schlauch, bis sie das Bewusstsein verlor, und erstach sie mit seinem Jagdmesser. So rächte er sich an seinem Vater. Er legte ihren toten Körper aufs Bett und deckte sie zu. Draußen an die Tür von Apartment 505 hängte er eine Nachricht für den Hausmeister, bitte nicht zu stören.
Wieder zu Hause, trat er ans Bett seiner schlafenden Frau. Er zog ihr die Decke weg und stach fünfmal auf sie ein. Dann setzte er sich, um den Brief zu beenden, den er zuvor angefangen hatte.
Er schrieb:
3 Uhr früh
Beide sind tot. Nach langem Nachdenken habe ich mich dazu entschlossen, meine Frau Kathy von ihrer Arbeit bei der Telefongesellschaft abzuholen und heute Nacht zu töten. Ich liebe sie sehr, und sie war mir eine so gute Frau, wie es sich ein Mann nur wünschen kann. Ich kann keinen vernünftigen Grund dafür angeben, warum ich das alles tue. Ich weiß nicht, ob es Selbstsucht ist oder ob ich ihr die Beschämung ersparen will, die sie angesichts meiner Taten fraglos empfinden würde. Vorherrschend ist für mich im Moment allerdings die Überzeugung, dass diese Welt es nicht wert ist, in ihr zu leben. Ich bin bereit zu sterben und will meine Frau nicht allein in dieser Welt leiden lassen. Ich will sie so schmerzlos wie nur möglich töten.
Ähnliche Gründe haben mich dazu gebracht, auch meiner Mutter das Leben zu nehmen. Ich glaube nicht, dass die arme Frau ihr Leben jemals so genossen hat, wie sie es verdient
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