Der Venuspakt
über einen un-
eben gepflasterten Pfad.
Als sie um die Hausecke bogen, blieb er stehen, um das sich ihm bietende
Bild konzentriert in sich aufzunehmen. Zwischen alten Obstbäumen hingen
bunte Lampions, darunter waren weiß gedeckte Tische aufgestellt, an denen
plaudernd Partygäste saßen. Andere standen fröhlich lachend in kleinen
Gruppen zusammen oder bedienten sich am üppigen Buffet.
Es war ein herrlicher Spätsommertag und Eriks feine Nase sog begeistert
den reichen Duft von Kräutern, überreifen Früchten und der warmen, schwe-
ren Herbsterde ein. Wäre er nicht in menschlicher Form gewesen, er hätte den
Kopf in den Nacken gelegt und seiner Natur folgend allen sein Wohlbefinden
verkündet, um sich dann vor Vergnügen im frisch geschnittenen Gras zu wäl-
zen. So aber schaute er sich weiter um.
Auf einer großzügigen Terrasse tanzte ein halbes Dutzend Gäste zu sanfter
Musik und Erik glaubte für einen Moment, er habe noch nie etwas Friedliche-
res als dieses Gartenfest erlebt. Und dann sah er sie.
Die Schwestern wären unmöglich voneinander zu unterscheiden gewesen,
hätten sie sich nicht unterschiedlich gekleidet. Eine trug ihr langes, rotes
Kleid wie eine Königin. Der weiche Stoff umspielte in der sanften Brise des
Abends ihren schlanken Körper und bot einen dramatischen Kontrast zu ih-
rem dunklen, fast taillenlangen Haar. Sie drehte leicht den Kopf und blickte in
seine Richtung, als spürte sie seine Anwesenheit.
«Das ist Estelle!», flüsterte ihm der Freund zu und schnalzte bewundernd
mit der Zunge. «Die andere trägt immer Schwarz. Ihr Name ist Selena.»
Sie trug die Haare aufgesteckt und diese Frisur betonte wunderbar ihren zar-
ten, weißen Hals. Erik hat nur Augen für sie. Als Selena auf ein Zeichen ihrer
Schwester hin ebenfalls zu ihnen herübersah, konnte er kaum atmen.
Die beiden Frauen schritten die Stufen der Terrasse hinab, um die Neuan-
kömmlinge zu begrüßen, und Erik konnte den Blick nicht abwenden von die-
sem faszinierenden Feenkind. Nun wusste er, woher die Magie stammte, die
dieses Haus und seine Bewohnerinnen umgab. Ohne zu überlegen, sandte er
seine Gedanken aus, um ihr sein Herz zu Füßen zu legen. Doch plötzlich war
es, als schlüge man ihm eine Tür vor der Nase zu und Erik taumelte von der
Wucht des Angriffs auf seine Sinne zurück.
Selena lächelte weiter, als sei nichts geschehen und reichte ihm ihre Hand,
an der unzählige silberne Armreifen klimperten.
«Hallo Christian!», begrüßte sie den Freund und blickte dann fragend zu
ihm.
«Erik», brachte er heraus und fühlte sich wie ein Idiot, als Christian wissend
grinste. Er wagte es nicht, sie zu berühren.
Selena ignorierte seine Verwirrung und bot an, ihm einige Freunde vorzu-
stellen und das Haus zu zeigen. Ihre Augen ruhten dabei interessiert auf Eriks
Lippen, so als überlegte sie, wie es wäre, ihn zu küssen.
Estelles Blick dagegen sprühte Feuer und feindselig rauschten ihre Worte in
seinem Kopf: Wage es nicht, ihr ein Leid anzutun!
Trotz dieser deutlichen Warnung wich er nicht mehr von Selenas Seite und
der Fee schien das zu gefallen.
Erik konnte sich normalerweise darauf verlassen, dass Frauen sich zu ihm
hingezogen fühlten. Er war groß, durchtrainiert und sein Gesicht, über das er
sich früher immer geärgert hatte, wenn die Tanten ihn ans Kinn fassten und
entzückt feststellten: «Der Kleine sieht aus wie ein Engel!», war inzwischen
kantiger und männlicher geworden. Schon in der Schule hatten die Mädchen
von seinen Husky-Augen geschwärmt, die unter einer dichten Mähne blonder
Haare hervorblinzelten. Heute aber fühlte er sich linkisch und unsicher.
Als es Zeit wurde, sich zu verabschieden, fasste er sich dennoch ein Herz
und fragte: «Kann ich dich wiedersehen?»
«Ich dachte schon, du würdest nie fragen!»
Ihre Augen funkelten, und Erik hätte sie am liebsten in seine Arme geschlos-
sen und nie wieder losgelassen. Sie verabredeten sich für das nächste Wochen-
ende und Erik beobachtete, wie Selena beschwingt in ihr hell erleuchtetes
Haus zurückkehrte.
Er wollte gerade in sein Auto steigen, da tauchte Estelle wie ein Geist aus der
Dunkelheit auf. Er hatte ihr Nahen nicht bemerkt, bis sie direkt vor ihm stand.
«Ich weiß genau, was du bist!», fauchte sie ihn an. Erik blickte sich unbe-
haglich um, aber niemand schien in der Nähe zu sein.
«Was willst du von meiner Schwester?»
«Nichts!»
«Du hast dich mit ihr verabredet!» Es
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