Der Venuspakt
Versprechen belastete ihn jeden Tag mehr und er sehnte sich danach,
ihr das Geheimnis seiner dunklen Seite anzuvertrauen.
Die Vollmondnächte verbrachte er weit entfernt in den Wäldern seiner Fa-
milie, wo er einsam Wild jagte und melancholisch den Mond anstarrte.
Inzwischen spürte er ihre Verunsicherung sehr deutlich, und Selenas ver-
letzter Blick brach ihm fast das Herz, wenn er sich wieder einmal aus für sie
unbegreiflichen Gründen vor ihr zurückzog. Er wagte es nicht, der Geliebten
wirklich nahe zu kommen. Jedes Mal, wenn sie sich küssten und sein Verlan-
gen unter ihren zärtlichen Berührungen wuchs, unterbrach er abrupt das Lie-
besspiel und floh mit fadenscheinigen Erklärungen. Zu groß war die Furcht,
dass die Leidenschaft seine mentalen Barrieren hinwegfegen und Selena die
Bestie sehen könnte, die in ihm schlummerte.
Erik hatte schon mit einigen Frauen geschlafen und niemals Bedenken ge-
habt, sie könnten seine wahre Natur erraten. Doch Selena zu verlieren, das
Entsetzen in ihren Augen zu sehen, wenn der Wolf in ihm seinen blutrünsti-
gen Kopf hob, diese Vorstellung war ihm unerträglich. Nuriya hatte ihm ge-
raten, so schnell wie möglich mit ihrer Schwester zu sprechen. Und er hoffte,
dass sich bald eine Gelegenheit dazu bot.
Anstatt eines seiner bevorzugten Jagdgebiete in den ärmlichen Wohnge-
bieten einer Metropole aufzusuchen und seinen Durst zu stillen, beschloss
Kieran in seine alte Heimat Argyll zu reisen. Nach den heutigen Ereignissen
brauchte er einfach vertrauten Boden unter den Füßen, um sich klar zu wer-
den, was mit ihm geschah.
Er liebte dieses wunderbare Land an der schottischen Westküste und fühlte
sich ihm in vielen Dingen verwandt. Die Bewohner kämpften für Unabhän-
gigkeit und eine moderne Zukunft und mochten sich doch von ihren Tradi-
tionen nicht lösen. Traditionen, die trotz ihrer christlichen Prägung nie ganz
die alten heidnischen Wurzeln leugneten. Hier gab es immer noch Spuren des
einstigen Glaubens seiner Jugend. Obwohl schon damals in tiefer Demut vor
einem christlichen Gott erzogen, wussten die Bewohner seines Dorfes doch
alle um die Existenz von Feen und Elfen und respektierten diese Wesen als
einen Teil der sie umgebenden Natur.
Seine Ziehmutter hatte sich mit dem neuen Gott allerdings nie anfreunden
können; nur widerwillig ging sie sonntags in die kleine Kirche, die genau
auf jenem Hügel erbaut worden war, auf dem noch ihre Großmutter in aller
Heimlichkeit, mit einer kleinen Schar von Anhängern der alten Religion, die
heiligen Jahresfeste als Priesterin gefeiert hatte.
Dennoch warnte die Mutter ihn immer wieder vor den Verlockungen und
Gefahren der Anderwelt. Auf dass er sich nie mit ihren verführerischen, wan-
kelmütigen Wesen einlasse, denn die Sterblichen erwarte nur Unglück und
Leid in einer solchen Verbindung.
Und wie Recht sie gehabt hatte. Nein, korrigierte er sich. Maire war niemals
wankelmütig gewesen, sie war zart, hingebungsvoll und hatte ihm jeden
Wunsch von den Augen abgelesen, ohne ihm jemals zu widersprechen. Doch
bevor er noch ihr gemeinsames Schicksal wirklich begriff, war alles vorbei ge-
wesen. Sie hatte ihn als das Monster erkannt, zu dem er tatsächlich erst nach
seinem Tod geworden war und den Freitod einem gemeinsamen Leben mit
ihm vorgezogen.
Etwas, das er längst aus seinem Gedächtnis verbannt geglaubt hatte, quälte
seine Seele. Es war die Erinnerung an eine friedliche Zeit, als er noch nicht
ahnte, was das Schicksal für ihn bereithielt, als das vertraute Weib ihm re-
gelmäßig über die Wiesen des heiligen Hügels entgegenlief, seine Rückkehr
ungeduldig erwartend.
Kieran spürte noch immer die Wärme seines Reittieres unter sich, als es da-
mals, dem Stall nicht mehr fern, noch einmal alle Reserven mobilisiert hatte,
um sie beide so rasch wie möglich nach Hause zu bringen. Er erinnerte sich
an die Silhouette der Wartenden und an seine Sehnsucht nach einem sicheren
Heim.
Und Kieran fragte nicht, woher sie Tag und Stunde seiner Rückkehr kannte.
Natürlich entgingen ihm die Albträume nicht. Und auch nicht ihre Furcht,
von Dämonen besessen zu sein, so wie ihre Mutter es angeblich gewesen war.
Maire weigerte sich, mit ihm darüber zu sprechen.
Eines Tages begann er sich zu verändern und Maire gab sich die Schuld da-
ran.
Alles hatte vielleicht begonnen, als er zum ersten Mal ihr Blut kostete, um
einen kleinen Schnitt an ihrem Finger zu reinigen. Danach
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