Der Venuspakt
verbarg. Und genauso kalt wie das Wasser
der Moorwiesen in ihre Kleider, so drang die Einsamkeit, die Nuriya in seinem
Gesicht zu lesen glaubte, tief in ihre Seele ein. Wie oft war sie versucht gewe-
sen, ihm zu folgen, wenn er auf dem Absatz kehrt machte und in der Dunkel-
heit verschwand. Manchmal hörte sie wenig später in der Ferne den Ruf eines
einsamen Tieres und sie hätte schwören können, dass auch dies ihr unheim-
licher Jäger war. Noch Tage nach diesen nächtlichen Begegnungen fühlte sie
sich niedergeschlagen und mutlos.
Doch heute war alles anders. Dieses Mal wagte sie sich aus ihrem grünen
Versteck hervor, wurde ebenfalls zur Jägerin. Sie schüttelte ihr dichtes Fell
und hob den Kopf, um witternd die kühle Nachtluft zu prüfen. Ihr Herz galop-
pierte vor Freude, als sie ihm schließlich folgte und dabei den weichen Wald-
boden unter ihren Pfoten spürte.
Und dann war es plötzlich da, dieses köstliche Aroma der Beute! Sie konn-
te bereits den salzig metallischen Geschmack warmen Blutes auf ihrer Zunge
spüren und bereitete sich auf den Angriff vor. Jetzt rauschte es in ihren Ohren,
sie setzte zum Sprung an und ... fiel.
Voller Panik erwachte sie aus ihrem mörderischen Traum. Das Kopfkissen
war blutgetränkt, warm lief die Flüssigkeit aus ihren Mundwinkeln. Entsetzt
tastete sie nach der Nachttischlampe, knipste das Licht an und griff nach dem
Kissen – nur Farbe aus dem frisch getönten Haar. Und der Rest? «Wie peinlich
...», murmelte sie, angelte nach einem zerknüllten Taschentuch und wisch-
te ihren Mund ab. Wahrscheinlich hatte sie auch noch geschnarcht! Nur gut,
dass sie ihr breites Bett mit niemandem teilte.
Nuriya lag noch lange wach und dachte an den dunklen, geheimnisvollen
Fremden, der seit heute einen Namen hatte: Kieran.
Am nächsten Tag weihte Selena sie in ihre Pläne fürs Wochenende ein.
«Heute ist Beltane. Ich bin jetzt seit mehr als einem halben Jahr mit Erik
zusammen und wir haben noch nie ...» Die Röte schoss ihr ins Gesicht und
sie konnte Nuriya nicht ansehen, während sie stockend fortfuhr: «Na ja, du
weißt schon!»
«Was?» Nuriya griff sich mit einer theatralischen Geste ans Herz. «Meiner
Treu! Sie ist eine Jungfrau!»
«Du nimmst mich nicht ernst!», kicherte Selena und warf ein Kissen nach
ihrer Schwester.
«Natürlich nicht. Nachdem ich jetzt dein finsteres Geheimnis kenne!»
Die Schwestern balgten sich, bis Selena plötzlich die Arme um ihre Schwes-
ter schlang und schluchzte: «Du hast mir so gefehlt!»
Ernüchtert setzte sich Nuriya auf und blickte Selena tief in die Augen: «Was
weißt du über Erik?»
«Er ist der beste, liebste ›Sexiest Man Alive‹!»
«Das meine ich nicht. Du musst doch gespürt haben, dass er anders ist!»
«Das weiß ich doch!»
«Er trägt die Magie in sich!»
Selena überlegte kurz und meinte: «Ja, aber er ist nicht böse!»
Nuriya dachte an das Gelübde, sich künftig besser um ihre jüngeren Schwes-
tern zu kümmern, so wie es von Anfang an ihre Pflicht gewesen wäre. Offen-
bar hatte Selena überhaupt keine Ahnung von Eriks wahrer Natur.
Sie war überrascht, dass Erik diese Situation nicht ausgenutzt hatte. Wie
viel konnte ein Mann ertragen?
Offensichtlich liebte er ihre Schwester. Am gestrigen Abend hatte er sich
sehr ritterlich verhalten und so getan, als wären auch die beiden Fremden,
die ihr zu Hilfe geeilt waren, völlig normale Sterbliche. Nuriya konnte nicht
sagen, was sie waren. ›Normal‹ war jedoch mit Sicherheit das letzte Attribut,
das ihr im Zusammenhang mit diesen Männern eingefallen wäre. Sehnsüch-
tig erinnerte sie sich an den Blick, den Kieran ihr zugeworfen hatte. Doch das
musste warten!
«Was hast du vor?», fragte sie stattdessen ihre Schwester.
«Ich will ihn verführen!»
«Zu Beltane!», lachte Nuriya. «Na dann pass aber gut auf, dass nicht mehr
dabei herauskommt als eine heiße Nacht.»
«Oh!» Selena wurde knallrot und kramte in einer Schublade, bis sie die
Schachtel mit Kondomen in Händen hielt. «Für die Verhütung habe ich schon
gesorgt!»
Dann erklärte sie ihren Plan: «Erik arbeitet freitags im Hellfire, dem ange-
sagtesten Gothic-Club der gesamten Region. Bisher wollte er nie, dass ich ihn
dort besuche. Er sagt, während der Arbeit hätte er sowieso keine Zeit für mich
und seine Freizeit wolle er nicht auch noch in dem Laden verbringen. Ich glau-
be, es liegt daran, dass der Club einen ziemlich üblen Ruf hat. Freunde haben
mir
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