Der Venuspakt
verschleppt nicht einfach die Auserwählte und kommt ungeschoren davon.
Senthil musste tatsächlich völlig verrückt sein, wenn er das glaubte.
Aber welche Rolle spielte Anvea? Es gab nur einen, der diese Frage beant-
worten konnte, und das war Sin.
«Das wurde aber auch Zeit!», grollte die tiefe Stimme des mächtigen Vam-
pirs, als er in Kierans Räumen erschien. «Donates hat übrigens Recht. Ein
hässlicher, kleiner Schutzzauber, den du da über dein Haus gelegt hast.»
«Und du würdest nicht hier stehen, wenn ich dich nicht eingeladen hätte»,
entgegnete Kieran.
Breitbeinig, mit verschränkten Armen stand Sin vor ihm und lächelte. Die
Tätowierung in seinem Gesicht verhielt sich ganz still, als läge sie auf der Lau-
er. Er hob beschwichtigend seine Hand, als Kieran aufsprang und ärgerlich
einen Schritt auf ihn zu machte.
«Entspann dich! Ich werde herausfinden, was sie im Schilde führt. Hast du
Órla in alles eingeweiht?»
«Natürlich nicht! Wer sagt mir denn, dass sie nicht auch die Finger mit im
Spiel hat!»
Sins Lachen überraschte Kieran und jagte ihm eine Gänsehaut über den Rü-
cken. «Das glaube ich nicht. Wenn der Frieden zwischen den Welten gebro-
chen wird, muss sie wieder an den Hof ihrer Feenkönigin zurück. Und dies ist
das Letzte, was sie sich wünscht, glaube mir!»
«Warum?», fragte Kieran. Doch dann dämmerte ihm die Erkenntnis. «Sie
war nie ein Vampir – sie ist eine Leanan Sidhe, eine Blut trinkende Fee!» Über-
rascht schaute er Sin an. «Aber was tut sie hier?»
«Eine zu lange Geschichte.»
«Und weshalb hat sie Nuriya nicht als Auserwählte erkannt?»
«Das ist meine Schuld. Ich wollte euch ein wenig Zeit lassen, bevor alles
offiziell wurde.»
Kieran fragte nicht, wie es dem Freund und Lehrer gelungen war, diese
mächtige Fee zu manipulieren. Sin hatte Recht. Es gab Dinge, die besser unge-
sagt blieben. Außerdem hatten sie momentan Wichtigeres zu tun.
Sin warnte zum Abschied: «Unternimm nichts, bevor ich zurück bin. Sent-
hil ist ein widerlicher kleiner Wurm, aber er verfügt über einen bemerkens-
werten Selbsterhaltungstrieb.»
«Der wird ihm auch nicht helfen!», schwor Kieran, während Sin mit den
Schatten verschmolz.
«Genug geschlafen, kleine Schlampe!» Senthil lachte und zerrte Nuriya auf
die Füße.
«Wie fühlt es sich an, als Zuckerpüppchen, so allein in einem dunklen Ver-
lies? Darauf hat dich deine Mami nicht vorbereitet, nicht wahr? Ihr werdet
nur darauf dressiert, uns zu umgarnen und dann ins Unglück zu stürzen, da-
mit der Hof der Feen sich wieder einmal köstlich über die Dummheit der Vam-
pire amüsieren kann.»
Er packte sie brutal an ihren Haaren und bog ihren Kopf in den Nacken.
Deutlich konnte Nuriya den Geifer von seinen langen Eckzähne tropfen se-
hen. Widerlich, dachte sie.
«Aber damit ist bald Schluss. Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du mich auf
Knien anflehen, dein Leben zu beenden.»
Senthil genoss ihre augenscheinliche Furcht. Vielleicht durfte er die Auser-
wählte nicht töten, aber niemand hatte ihm verboten, sie zu quälen. Der Vam-
pir wollte sich Zeit lassen und ihre Angst auskosten, bevor er sich nahm, was
sein natürliches Recht als Mann war.
«Dein wunderbarer Beschützer sucht schon nach dir, Püppchen. Und wenn
er tatsächlich schlau genug ist, dich hier zu finden, dann werden meine Kämp-
fer den Kelten schon erwarten und ihm eine nette Überraschung bereiten!»
Nuriya riss entsetzt die Augen auf. Bisher hatte sie tatsächlich insgeheim
darauf vertraut, dass Kieran sie mit Ninsuns Hilfe aufspüren und befreien
würde. Doch nun wünschte sie sich nichts sehnlicher, als ihn vor Senthils
Heimtücke zu schützen.
Und damit tat sie etwas Unglaubliches. Zum ersten Mal in ihrem Leben
gelang es ihr, Ninsun komplett aus ihren Gedanken auszusperren. Niemand
durfte erfahren, wo ihr Entführer sie gefangen hielt. Sie würde sich nicht dar-
an beteiligen, Kieran in eine Falle zu locken. Das war das Mindeste, was sie für
ihren Lebensretter tun konnte.
Senthil deutete ihren Gesichtsausdruck richtig. Die Kleine hegte also tat-
sächlich eine heimliche Zuneigung zu dem Kelten. Wunderbar! Wenn Kieran
ebenfalls Gefühle für diese Fee hatte, konnte er ihm ein weit größeres Leid zu-
fügen, als nur seinen Stolz zu verletzen, weil er als Beschützer der Auserwähl-
ten versagt hatte. Diese Aussicht erregte ihn so sehr, dass er Nuriya wollüstig
grinsend gegen den kalten Felsen drückte.
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