Der verbannte Highlander
er konnte ihre Verletzlichkeit nicht ausnutzen. Zumindest jetzt noch nicht.
Er wusste, dass er recht hatte, als sie erschrocken die Augen aufriss und sich ihm entzog, so als wäre ihr mit einem Mal klar geworden, was sie getan hatte. »Es tut mir leid. Ich hätte nicht … Ich wollte nicht …« Einen endlosen, verlegenen Augenblick lang schüttelte sie umständlich die Röcke aus und gab sich größte Mühe, Schmutz und Blätter fortzuwischen, die von ihrem Sturz noch an der Wolle klebten. »Was müsst Ihr nur von mir denken?«
An der Art, wie sie seinem Blick auswich, erkannte er deutlich, dass sie sich schämte. »Ich denke, dass Ihr Angst hattet. Ich war hier. Da gibt es nichts zu erklären.«
Unsicher begegnete sie seinem Blick, als wolle sie sich ebenfalls davon überzeugen, und brachte ein zaghaftes Lächeln zustande. »Wie es scheint, stehe ich nun doppelt in Eurer Schuld und muss Euch erneut dafür danken, dass Ihr mir das Leben gerettet habt. Wenn Ihr nicht nach mir gerufen hättet …« Sie erschauderte und blickte zu dem toten Tier hinüber.
Ihre Dankbarkeit verursachte ihm ein unangenehmes Gefühl. »Ich hätte nie zugelassen, dass Ihr alleine hierher geht, wenn ich das geahnt hätte. Aber es ist ungewöhnlich, dass man hier in dieser Gegend auf Wölfe trifft.« Mit Bedauern sah er das erlegte Raubtier an. »Noch ungewöhnlicher, ein einzelnes Tier zu sehen.«
Sie verzog das Gesicht. »Ich würde lieber gar keines sehen.«
»Dieser Wunsch wird bald genug in Erfüllung gehen.« Seine Worte kamen ihm schroffer über die Lippen, als er beabsichtigt hatte, und er beeilte sich, es ihr zu erklären. »Wenn der König seinen Willen bekommt, dann wird es bald in den Highlands nirgendwo mehr Wölfe geben. Vor vierzig Jahren
war es noch notwendig, Schutzhütten am Wegesrand zu errichten, in denen Reisende vor den Wölfen Zuflucht suchen konnten. Heutzutage ist es dagegen schon eine Seltenheit, wenn man überhaupt einen Wolf zu Gesicht bekommt.«
Vielleicht fühlte er deshalb so eine seltsame Seelenverwandtschaft mit dem Wolf. Der König trachtete danach, sie beide zu vernichten. Die Gesetze, die erlassen worden waren, um die MacGregors auszurotten, unterschieden sich im Wortlaut nicht sonderlich von denen zur Ausrottung der Wölfe.
»Ihr klingt, als habt Ihr Mitleid mit ihrem Schicksal. Aber Ihr habt doch gesehen, was passiert ist. Wir müssen doch sicherlich etwas unternehmen, um weitere Angriffe zu verhindern.«
»Es liegt gewöhnlich nicht in der Natur des Wolfes, einen Menschen anzugreifen. Nur weil wir ihnen keine andere Wahl lassen, sind sie gezwungen, sich zu verteidigen.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Weil wir ihre Wälder abholzen und in ihr Land eindringen. Es ist ihr uraltes Recht, durch dieses Land zu streifen und dieses Recht wurde ihnen genommen. Was bleibt ihnen anderes übrig, als zu kämpfen?«
Er erkannte, dass er genauso gut von seinen eigenen Leuten hätte sprechen können. Wie der Wolf war auch das einst so stolze Geschlecht der MacGregors, dessen Abzeichen verkündete, dass sie von Königen abstammten – S Rioghal Mo Dhream , »Königlich ist meine Rasse« –, von seinem Land vertrieben und in die Ecke gedrängt worden, was sie dazu zwang, wild und grausam zu schützen, was ihnen gehörte. Es war also treffend, dass sie auch die ›Söhne des Wolfes‹ genannt wurden.
Mit zur Seite geneigtem Kopf musterte sie sein Gesicht und er befürchtete, dass seine leidenschaftliche Rede mehr verraten hatte, als ihm lieb war.
»Uraltes Recht? Das ist eine interessante Betrachtungsweise.
« Sie verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln. »Eine, an der mein Cousin Anstoß nehmen würde, da er ja die Besitzurkunde für dieses Land hält.«
Sie sagte es scherzhaft, doch ihre Worte konnten wahrer nicht sein. Auf derselben Grundlage hatten der Earl of Argyll und sein Verwandter, ›Black‹ Duncan Campbell of Glenorchy, den MacGregors ihr Land weggenommen. Jahrhundertealtes Eigentum einfach missachtet, weil sie kein Stück Pergament vorweisen konnten.
Ihre Worte waren ebenfalls eine barsche Erinnerung an den Grund, warum er hier war: Land.
Als er den Blick wieder auf sie richtete, tat er es mit kalter Entschlossenheit. Ganz gleich, wie liebenswert sie war, er würde nicht vergessen, wer sie war und was sie ihm bringen würde. Er hatte zu lange darauf gewartet, zu bekommen, was ihm gehörte.
Reif, verführt zu werden , rief er sich in Erinnerung. Ein Mittel zum Zweck.
»Wir sollten
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