Der verbannte Highlander
haben.
Was war nur mit seiner vielgerühmten Beherrschung passiert? Trotzdem hatte sie sich einen verdammt schlechten Zeitpunkt ausgesucht, ihn im Stich zu lassen.
Seine Schultern schrammten an den Wänden der engen Treppe entlang, während er die zwei Stockwerke zum Saal hinunterging. Obwohl er wusste, dass die Treppe zum Schutz so gebaut war – um Angreifer daran zu hindern, den Turm hinaufzustürmen –, schwor er sich, dass er eines Tages eine Burg bauen würde, deren Türen hoch genug waren, damit er nicht den Kopf einziehen musste, und Treppen, die breit genug waren, damit er nicht seitwärts gehen musste. Dennoch war er es trotz seiner Größe gewohnt, sich verstohlen auf beengtem Raum zu bewegen, und aus Gewohnheit tat er das auch jetzt. Das weiche Leder seiner Stiefel war beinahe geräuschlos auf den schmalen Steinstufen, als er aus dem dunklen Treppenhaus trat.
Er tat einen Schritt in den Saal und blieb einen langen Augenblick, der ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ, wie angewurzelt stehen, bevor er sich lautlos wieder in die Sicherheit des Treppenaufgangs zurückzog.
Er lehnte sich an den kühlen, festen Stein und wartete, bis das heftige Pochen seines Herzens langsamer wurde. Kalter Schweiß war ihm auf der Stirn und auf dem Rücken ausgebrochen. Immer noch geschockt lauschte er auf die Stimmen der beiden Menschen, die er gesehen hatte, im vollen Bewusstsein, dass er nur einen Schritt, einen flüchtigen Blick vom Tod entfernt gewesen war.
Denn neben Elizabeth vor dem großen steinernen Kamin stand der Mann, der den Auftrag hatte, die MacGregors gnadenlos zur Strecke zu bringen: Jamie Campbell.
Jahrelanger Hass brach aus ihm heraus. Gesichter wirbelten vor seinem inneren Auge vorbei wie Karten in einem Kartenspiel. Er dachte an seine Familie, an all die Clansleute, die er durch die Hand der Campbells verloren hatte.
Das Versprechen von Rache schwebte in der Luft, so stark, dass er es beinahe schmecken konnte.
Er ignorierte den stechenden Schmerz seiner Wunde, als er
hinter sich griff, und zog mit kaltem Bedacht einen Pfeil aus dem Köcher an seinem Rücken.
Wenn er das hier tat, dann würde er fliehen müssen. Die Gelegenheit, das Land seiner Familie zurückzuerlangen, würde verloren sein, und Elizabeth Campbell wäre für immer unerreichbar.
Jamie Campbells Stimme war klar und deutlich zu verstehen. »Alasdair MacGregor ist zu weit gegangen. Ich will jeden ihrer verdammten Köpfe auf einer Lanze aufgespießt sehen.«
Wenn er noch irgendwelche Zweifel gehabt hätte, dann löschten die Worte des Vollstreckers sie aus. Patrick presste die Lippen zu einer grimmigen Linie zusammen, während er den Pfeil an die Sehne legte und auf den Rücken des Mannes zielte, der seine Clansleute wie Hunde jagte. Der für den Tod von unzähligen seiner Angehörigen verantwortlich war. Den jeder MacGregor tot wünschte.
Eine Gelegenheit wie diese würde vielleicht nie mehr wiederkehren.
Seine Augen wurden schmal, als er die Sehne spannte und ruhig zielte, um seinen Clan ein für alle Mal von seinem unbarmherzigen Verfolger zu befreien.
Eine Bewegung, die sie aus den Augenwinkeln wahrnahm, ließ Lizzie einen Blick über die Schulter ihres Bruders zur Treppe hinüberwerfen. Als sie nichts sah, wandte sie sich wieder Jamie zu und versuchte, ihn mit einem mäßigenden Lächeln zu beruhigen. Doch sie wusste, dass ihr grimmiger Bruder nicht so leicht zu besänftigen war. Die Nachricht von dem Überfall hatte ihn in außergewöhnliche Rage versetzt. Vernünftig mit ihm zu reden, wenn er so war, kam dem Versuch gleich, einen Bären zu beruhigen, den man aus seinem Winterschlaf gerissen hatte.
»Ich weiß, dass du aufgebracht bist, Jamie, aber …«
»Aufgebracht? Herrgott, Lizzie! Das beschreibt nicht einmal
annähernd, wie ich mich gerade fühle.« Er senkte die Stimme und zog sie in die Arme. »Wenn dir etwas passiert wäre …«
»Aber mir ist nichts passiert.«
»Nach dem, was du erzählt hast, aber nur um Haaresbreite. Wenn Tullibardines Männer nicht im richtigen Augenblick gekommen wären …« Seine Stimme brach ab.
Er blickte auf ihr Gesicht herab und seine gutaussehenden Züge waren von den tiefen Gefühlen gezeichnet, die er so selten zeigte. Es war merkwürdig, ihren großen, starken Bruder so erschüttert zu sehen. »Du weißt nicht, wozu diese Männer fähig sind, Lizzie.«
Als sie sich an den hasserfüllten Ausdruck auf dem Gesicht des MacGregors erinnerte, erschauderte sie und
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