Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden
würde.
Später bereitete Nell das Abendessen - fette Schweinswürste, Kartoffelpüree und matschige Erbsen aus der Dose -, das sie in dem schmalen Zimmer neben der Küche zu sich nahmen. Nell hatte keine Fliegengitter an den Fenstern so wie Lesley in ihrem Haus in Burleigh Beach, dafür lag auf der Fensterbank immer eine Fliegenklatsche aus Plastik griffbereit. Wenn eine Fliege oder eine Mücke sich in ihre Nähe wagte, schlug Nell augenblicklich zu.
Ihre Angriffe waren so schnell, so routiniert, dass die Katze, die auf ihrem Schoß schlief, nicht einmal zusammenzuckte.
Der klobige Standventilator auf dem Kühlschrank bewegte die schwere, feuchte Luft hin und her, während sie aßen; so höflich wie möglich beantwortete Cassandra die Fragen ihrer Großmutter, und irgendwann war das qualvolle Abendessen beendet. Cassandra half beim Geschirrspülen, dann führte Nell sie ins Badezimmer und ließ lauwarmes Wasser in die Wanne laufen.
»Das Einzige, was noch schlimmer ist als ein kaltes Bad im Winter«, bemerkte Nell trocken, »ist ein heißes Bad im Sommer.« Sie zog ein braunes Handtuch aus dem Schrank und legte es auf den Toilettenspülkasten. »Du kannst das Wasser abstellen, wenn es diese Linie hier erreicht.« Sie zeigte auf einen feinen Riss in der grünen Porzellanwanne, richtete sich auf und strich ihr Kleid glatt. »Kommst du allein zurecht?«
Cassandra nickte und lächelte die ganze Zeit und hörte erst damit auf, als ihre Großmutter die Badezimmertür schloss. Sie hoffte bloß, dass sie die richtige Antwort gegeben hatte; Erwachsene konnten manchmal ganz schön kompliziert sein. Meistens mochten sie es nicht, wenn Kinder ihren Gefühlen Ausdruck verliehen, zumindest nicht, wenn es sich um schlechte Gefühle handelte. Len ermahnte Cassandra immer wieder, dass brave Kinder gefälligst lächeln und ihre finsteren Gedanken für sich behalten sollten. Aber Nell war anders. Cassandra konnte sich selbst nicht recht erklären, woher sie das wusste, aber sie spürte, dass bei Nell andere Regeln galten. Trotzdem war es besser, erst einmal auf Nummer sicher zu gehen.
Deswegen hatte sie die Zahnbürste nicht erwähnt, oder besser das Fehlen einer Zahnbürste. Solche Dinge vergaß Lesley jedes Mal, wenn sie für eine Weile verreisten, aber Cassandra wusste, dass eine oder zwei Wochen ohne Zahnbürste sie nicht umbringen würden. Sie nahm ihre Haare und band sie oben auf dem Kopf mit einem Gummiband zusammen. Zu Hause setzte
sie zum Baden die Duschhaube ihrer Mutter auf, aber sie wusste nicht, ob Nell so etwas besaß, und wollte auch nicht fragen. Sie stieg in die Wanne, setzte sich in das lauwarme Wasser, umschlang die Knie mit den Armen und schloss die Augen. Saß da und lauschte auf das Plätschern des Wassers am Wannenrand, das Summen der Glühbirne und einer Mücke irgendwo über ihr.
Eine ganze Weile blieb sie so sitzen und kletterte schließlich widerwillig aus der Wanne, weil sie sich sagte, dass Nell bestimmt kommen und nach ihr sehen würde, wenn sie noch länger im Bad blieb. Sie trocknete sich ab, hängte das Handtuch sorgfältig über die Vorhangstange und zog ihren Schlafanzug an.
Sie fand Nell im Wintergarten, wo sie gerade dabei war, das Schlafsofa zu beziehen.
»Eigentlich ist es nicht zum Schlafen geeignet«, sagte Nell, während sie das Kopfkissen aufschüttelte. »Die Matratze ist nicht besonders bequem, und die Federung ist ziemlich hart, aber du bist ja ein Fliegengewicht, für dich wird es reichen.«
Cassandra nickte ernst. »Es ist ja nicht für lange, nur für eine oder zwei Wochen. Bis Mum und Len sich wieder zusammengerauft haben.«
Nell lächelte grimmig. Es war ein Gesichtsausdruck, den sie offensichtlich selten aufsetzte, denn die Muskeln um ihren Mund herum schienen sich zu sträuben. Sie sah sich im Wintergarten um, dann schaute sie Cassandra an. »Brauchst du sonst noch irgendwas? Ein Glas Wasser? Eine Lampe?«
Cassandra schüttelte den Kopf. Sie überlegte, ob Nell womöglich eine zusätzliche Zahnbürste besaß, brachte es jedoch nicht fertig, danach zu fragen.
»Also dann, ab in die Falle«, sagte Nell und hielt die Bettdecke hoch.
Nachdem Cassandra gehorsam ins Bett geschlüpft war, deckte Nell sie zu. Die Laken waren überraschend weich, angenehm
verschlissen, und verströmten einen fremden, aber sauberen Duft.
Nell zögerte. »Na dann. Gute Nacht.«
»Gute Nacht.«
Im nächsten Augenblick ging das Licht aus, und Cassandra war
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