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Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden

Titel: Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Morton
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Spannung, die entsteht, wenn ein Mensch ganz in der Nähe ist.
    »Was ist denn?«
    Cassandras Kehle war so zugeschnürt, dass sie kein Wort herausbrachte.
    »Ist es das Gewitter? Hast du Angst?«
    Cassandra schüttelte den Kopf.
    Nell setzte sich steif auf die Bettkante und zog den Gürtel ihres Morgenmantels fester. Als ein Blitz das Zimmer erhellte, sah Cassandra das Gesicht ihrer Großmutter, erkannte darin die leicht nach unten geneigten Augenwinkel ihrer Mutter.

    Endlich brach der Schluchzer sich Bahn. »Meine Zahnbürste«, sagte Cassandra unter Tränen. »Ich hab meine Zahnbürste nicht dabei.«
    Nell schaute sie einen Moment lang verblüfft an, dann nahm sie sie in die Arme. Zuerst zuckte Cassandra zusammen, überrascht von der unerwarteten Geste, doch dann überließ sie sich ihren Gefühlen. Sie ließ sich gegen Nells weichen, nach Lavendel duftenden Körper sinken und weinte heiße Tränen in Nells Nachthemd.
    »Ist ja gut«, flüsterte Nell, während sie Cassandras Kopf streichelte. »Mach dir keine Sorgen. Morgen kaufen wir dir eine neue.« Sie schaute zum Fenster, betrachtete eine Weile den Regen, der an der Scheibe herunterlief, dann legte sie ihre Wange auf Cassandras Haar. »Du bist eine Kämpfernatur, hörst du? Es wird dir nichts geschehen. Alles wird gut.«
    Und obwohl Cassandra sich nicht vorstellen konnte, dass jemals wieder alles gut werden würde, fühlte sie sich von Nells Worten ein wenig getröstet. Etwas in der Stimme ihrer Großmutter sagte ihr, dass sie nicht allein war, dass Nell sie verstand. Dass sie wusste, wie furchtbar Angst einflößend es war, eine Gewitternacht allein an einem fremden Ort zu verbringen.

6 Maryborough Australien, 1913
    Obwohl er erst ziemlich spät vom Hafen nach Hause kam, war die Suppe noch warm. So war Lil, die Gute, sie würde nie auf die Idee kommen, ihrem Mann eine kalte Suppe vorzusetzen. Hamish löffelte den Teller aus, lehnte sich zurück und rieb sich den Nacken. Von Ferne war dumpfes Donnergrollen zu hören, das sich langsam der Stadt näherte. Ein unsichtbarer Luftzug ließ
das Lampenlicht flackern und lockte die Schatten aus ihren Verstecken. Sein müder Blick folgte ihnen über den Tisch, die Wände entlang, über die Eingangstür hinauf. Sah, wie sie auf dem glänzenden, weißen Köfferchen tanzten.
    Dass ein Koffer verloren ging, hatte er schon Gott weiß wie oft erlebt. Aber ein kleines Mädchen? Wie, zum Teufel, konnte es dazu kommen, dass ein Kind mutterseelenallein auf seinem Kai saß? Noch dazu ein so niedliches kleines Ding, soweit er das beurteilen konnte. Hübsch anzusehen mit rotblonden Locken wie gesponnenes Gold und großen, blauen Augen. Die Kleine hatte eine Art, einen anzusehen, dass man das Gefühl hatte, sie hörte einem zu und verstand alles, was man sagte, und auch das, was man nicht sagte.
    Die Tür zur Veranda ging auf, und Lils vertraute Gestalt erschien. Sie zog die Tür sanft hinter sich zu und ging den Flur hinunter. Schob sich eine lästige Strähne hinters Ohr, dieselbe widerspenstige Locke, die ihr in die Stirn fiel, seit er sie kannte. »Sie schläft jetzt«, sagte Lil, als sie die Küche betrat. »Sie fürchtet sich vor dem Donner, aber dann ist sie doch nicht gegen den Schlaf angekommen. Das arme kleine Würmchen war völlig erschöpft.«
    Hamish trat an die Spüle und tauchte seinen Suppenteller in lauwarmes Wasser.
    »Kein Wunder, ich bin selbst hundemüde.«
    »Man sieht’s. Überlass mir den Abwasch.«
    »Ist schon gut, Liebes. Geh nur schon ins Bett, ich komme gleich.«
    Aber Lil rührte sich nicht vom Fleck. Er spürte sie hinter sich, sein Instinkt als Ehemann verriet ihm, dass sie ihm noch etwas zu sagen hatte. Ihre noch unausgesprochenen Worte hingen zwischen ihnen, und Hamishs Nacken spannte sich an. Die Welle früherer Gespräche rollte an und drohte wieder über ihnen zusammenzuschlagen. Schließlich sagte Lil leise: »Du brauchst mich nicht mit Glacéhandschuhen anzufassen, Haim.«

    Er atmete aus. »Das weiß ich.«
    »Ich komme schon drüber weg. Ich hab’s schon einmal überwunden.«
    »Natürlich.«
    »Das Letzte, was ich brauchen kann, ist ein Mann, der mich behandelt wie eine Invalidin.«
    »Das ist nicht meine Absicht, Lil.« Er drehte sich zu ihr um. Sie stand auf der anderen Seite des Tischs, die Hände auf einer Stuhllehne abgestützt. Mit ihrer Haltung wollte sie ihm zu verstehen geben, dass es ihr gut ging, dass alles war »wie immer«, aber dafür kannte Hamish sie zu gut. Er konnte ihre

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