Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden
ein Haus gekauft und es Cassandra vererbt hatte, weil sie glaubte, ihre Enkelin würde verstehen, warum.
»Ruby hat schon immer ein Talent dafür gehabt, Dinge rauszufinden, deswegen hab ich sie gebeten, sich mal nach den ehemaligen Besitzern zu erkundigen. Ich dachte mir, wenn wir erst mal wissen, von wem deine Großmutter das Haus gekauft hat, könnte uns das helfen zu verstehen, was sie dazu bewogen hat.« Ben zog ein kleines Spiralheft aus seiner Brusttasche und rückte seine Brille zurecht. »Sagen dir die Namen Daniel und Julia Bennett etwas?«
Cassandra, die noch immer das Foto betrachtete, schüttelte den Kopf.
»Ruby sagt, Nell hat das Haus von Mr und Mrs Bennett übernommen, die es 1971 gekauft hatten, und zwar zusammen mit dem Herrenhaus, das sie in ein Hotel umgewandelt haben. Es heißt Hotel Blackhurst.« Er schaute Cassandra erwartungsvoll an.
Erneut schüttelte sie den Kopf.
»Bist du sicher?«
»Nie gehört.«
»Tja«, sagte Ben und ließ die Schultern hängen. »Na dann.« Er klappte das Heft zu und stützte sich auf ein Regal. »Ich fürchte, das ist alles, was meine Schnüffelei ergeben hat.« Er kratzte sich den Bart. »Typisch Nell, so ein Riesengeheimnis zu hinterlassen. Das ist doch einfach verrückt, oder? Ein geheimes Haus in England.« Er winkte einem anderen Händler zu und fuhr leise fort: »Sieh mal, da geht Clarence. Betty sagt, er ist stinksauer, weil ich letzte Woche einem Kunden einen Rabatt auf eins von seinen Akkordeons gegeben hab.« Er grinste. »Geschäftssinn ist nicht jedem gegeben.«
Cassandra lächelte. »Danke für das Bild, und richte auch deiner Tochter meinen Dank aus.«
»Du kannst dich selbst bei ihr bedanken, wenn du am anderen Ufer des großen Teichs bist.« Er schüttelte seinen Kaffeebecher und spähte in die Trinköffnung, um nachzusehen, ob er leer war. »Wann hast du vor zu fliegen?«
Cassandras Augen weiteten sich. »Du meinst, nach England?«
»Na ja, ein Foto ist gut und schön, aber die Hütte mit eigenen Augen zu sehen, ist doch was ganz anderes, oder nicht?«
»Findest du, ich sollte nach England reisen?«
»Warum nicht? Wir leben schließlich im einundzwanzigsten Jahrhundert, du könntest in einer Woche wieder zurück sein, und dann hättest du eine bessere Vorstellung davon, was du mit dem Haus anfangen willst.«
Obwohl die Besitzurkunde auf ihrem Tisch lag, hatte sie die ganze Zeit nur über die theoretische Möglichkeit nachgegrübelt, dass Nell ein Haus besaß, und war gar nicht auf die Idee gekommen, sich das Ganze einmal praktisch vorzustellen: dass in England ein Haus stand und auf sie wartete. Sie lugte durch ihren Pony und grinste Ben an. »Meinst du, ich sollte es verkaufen?«
»Schwere Entscheidung, solange du noch nicht einmal einen Fuß hineingesetzt hast.« Ben warf seinen leeren Kaffeebecher in die fast volle Mülltonne neben dem Schreibtisch aus Zedernholz. »Kann doch nicht schaden, mal einen Blick drauf zu werfen, oder? Offenbar hat es Nell viel bedeutet, wenn sie es so lange behalten hat.«
Cassandra überlegte. Einfach so aus heiterem Himmel nach England fliegen, ganz allein? »Aber der Stand …«
»Pah! Die Leute hier vom Markt werden sich schon um deine Verkäufe kümmern, und ich bin ja auch noch da.« Er zeigte auf die vollen Regale. »Du hast genug Ware, um die nächsten zehn Jahre zu überleben.« Dann fügte er etwas sanfter hinzu: »Was spricht denn gegen so eine Reise, Cass? Es würde dir nicht schaden, mal ein bisschen rauszukommen. Ruby hat eine kleine Wohnung in Kensington und arbeitet im Victoria and Albert Museum. Sie wird sich um dich kümmern und dir ein bisschen die Stadt zeigen.«
Sich um sie kümmern: Dauernd erboten sich irgendwelche
Leute, sich um sie zu kümmern. Vor einer Ewigkeit war Cassandra selbst einmal eine verantwortungsvolle Erwachsene gewesen, die sich um andere gekümmert hatte.
»Außerdem: Was hast du schon zu verlieren?«
Nichts, sie hatte nichts und niemanden zu verlieren. Plötzlich war Cassandra das Thema leid. Sie rang sich ein mattes Lächeln ab und sagte: »Ich überleg’s mir.«
»So gefällst du mir schon besser.« Ben klopfte ihr auf die Schulter und wandte sich zum Gehen. Dann drehte er sich noch einmal um. »Beinahe hätte ich’s vergessen. Ich hab doch noch was Interessantes rausgefunden. Hat zwar nicht direkt was mit Nell und ihrem Haus zu tun, trotzdem ist es ein merkwürdiger Zufall bei deiner Geschichte und all den Zeichnungen, die du früher angefertigt
Weitere Kostenlose Bücher