Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden
mit dem Mädchen vorhaben, auch wenn ich es mir lebhaft vorstellen kann, aber ich lasse mir die Kleine nicht von Ihnen abluchsen.«
»Ich versichere Ihnen, Madam«, antwortete Mr Newton sichtlich angewidert, »dass hier kein Betrug vorliegt.«
»Ach nein?« Ihre Brauen hoben sich, und ihre Lippen verzogen sich zu einem schleimigen Lächeln. »Ach nein?« Sie wandte sich triumphierend an die beiden Misses Sturgeon. »Es ist alles Schwindel, und er ist ein Lügner. Diese Göre hat gar keine Familie, die ist ein Waisenkind. Ein Waisenkind, ist das klar? Sie gehört mir, und ich kann mit ihr tun, was mir gefällt.« In der Gewissheit, dass ihre Position unanfechtbar war, verzog sie siegessicher den Mund. »Ihre Mutter hat sie mir auf dem Totenbett überlassen, weil sie keine andere Bleibe für sie wusste.« Triumphierend hielt sie inne. »Genau so ist es, ihre Mutter hat es mir selbst gesagt: Sie hatte überhaupt keine Familie. In den ganzen dreizehn Jahren, die sie bei mir gewohnt hat, hat sie nicht ein einziges Mal was von einer Familie erwähnt. Dieser Mann ist ein Gauner.«
Eliza schaute zu Mr Newton auf, der einen Seufzer ausstieß und die Brauen hob. »Auch wenn es mich nicht wundert, dass Elizas Mutter es vorgezogen hat, die Existenz ihrer Familie zu verschweigen, ändert das nichts an der Tatsache, dass es diese Familie gibt.« Er wandte sich an die ältere Miss Sturgeon. »Es steht
alles hier in den Unterlagen.« Dann trat er aus dem Haus und öffnete die Tür der Kutsche. »Miss Eliza?«, sagte er und bedeutete ihr einzusteigen.
»Ich hole meinen Mann«, rief Mrs Swindell.
Eliza trat unschlüssig von einem Fuß auf den anderen.
»Miss Eliza?«
»Mein Mann wird Ihnen schon zeigen, wer hier im Recht ist!«
Wie auch immer die Wahrheit über ihre Familie aussehen mochte, Eliza stand vor einer einfachen Entscheidung: die Kutsche oder das Arbeitshaus. Im Moment hatte sie keine andere Möglichkeit, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Ihr blieb nichts anderes übrig, als sich in die Hände einer der anwesenden Personen zu begeben. Sie holte tief Luft und trat auf Mr Newton zu. »Ich habe nichts gepackt …«
»Jemand soll Mr Swindell holen!«
Mr Newton lächelte grimmig. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass es hier irgendetwas gibt, was Sie mit nach Blackhurst nehmen sollten.«
Inzwischen hatten sich alle möglichen Leute aus der Nachbarschaft vor dem Haus eingefunden. Auf der einen Seite stand Mrs Barker, den Mund weit offen, einen Korb mit feuchter Wäsche vor dem Bauch, auf der anderen Sarah mit der kleinen Hatty, die ihr verrotztes Gesicht an das Kleid des großen Mädchens drückte.
»Wenn Sie so freundlich wären, Miss Eliza.« Mr Newton trat zur Seite und zeigte auf die Kutschentür.
Eliza warf einen letzten Blick auf die keuchende Mrs Swindell und die beiden Misses Sturgeon, dann kletterte sie über die heruntergelassene Trittleiter in die Kutsche.
Erst als die Tür hinter ihr zugeschlagen wurde, bemerkte Eliza, dass sie nicht allein war. Auf der mit dunklem Stoff bezogenen Bank ihr gegenüber saß ein Mann, den sie schon einmal gesehen hatte. Ein Mann mit einem Kneifer, der einen eleganten Anzug trug. Vor Schreck blieb ihr beinahe das Herz stehen. Sie wusste
sofort, dass das der böse Mann war, vor dem ihre Mutter sie gewarnt hatte, und ihr war klar, dass sie vor ihm fliehen musste. Aber als sie gerade die Kutschentür aufreißen wollte, schlug der böse Mann mit der flachen Hand gegen die Wand hinter ihm, und die Kutsche setzte sich in Bewegung.
Teil zwei
21 Cornwall England, 1900
Während sie die Battersea Bridge Road entlangrasten, betrachtete Eliza eingehend die Kutschentür. Vielleicht, wenn sie an einem Knauf drehte oder auf eine Vertiefung drückte, würde die Tür sich öffnen, und sie konnte hinausspringen und sich in Sicherheit bringen. Andererseits war fraglich, wie viel Sicherheit sie finden würde. Falls sie den Sprung überlebte, würde sie eine Möglichkeit finden müssen, dem Arbeitshaus zu entgehen, aber das war vermutlich immer noch besser, als von dem Mann entführt zu werden, vor dem ihre Mutter so große Angst gehabt hatte.
Ihr Herz flatterte wie ein gefangener Spatz in ihrer Brust, als sie vorsichtig die Hand ausstreckte, ihre Finger den Knauf umschlossen und …
»Das würde ich an deiner Stelle nicht tun.«
Erschrocken blickte Eliza auf.
Der Mann, dessen Augen von den Gläsern seines Kneifers vergrößert wurden, beobachtete sie. »Du wirst unter die
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