Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden
das?«
»Das Mädchen, das ich abholen sollte, Sir.«
»Das ist doch kein Mädchen.«
»Doch, Sir, das ist ein Mädchen.«
»Aber die Haare … die Kleider …«
»Ich tue nur, was man mir aufträgt, Mr Thomas. Falls Sie irgendwelche Fragen haben, wenden Sie sich bitte an Mr Mansell. Er war dabei, als ich die Kleine abgeholt habe.«
Diese Information schien Mr Thomas etwas zu beruhigen. Er stieß einen schmallippigen Seufzer aus. »Ich nehme an, wenn Mr Mansell überzeugt war …«
Der Kutscher nickte. »Wenn das alles ist, bringe ich die Pferde in den Stall.«
Eliza überlegte, ob sie Mr Newton und den Pferden hinterherlaufen und sich im Stall in Sicherheit bringen sollte. Vielleicht konnte sie sich in einer Kutsche verstecken und irgendwie zurück
nach London gelangen, aber als sie in seine Richtung schaute, hatte der Nebel Mr Newton und die Pferde bereits verschluckt.
»Komm«, sagte Mr Thomas, und Eliza tat, wie ihr geheißen.
Drinnen war es kühl und feucht, allerdings wärmer und trockener als draußen. Eliza folgte Mr Thomas durch einen kurzen Flur, bemüht, beim Gehen kein lautes Geräusch auf den grauen Fliesen zu machen. Es duftete nach gebratenem Fleisch, und Eliza spürte, wie ihr Magen knurrte. Wann hatte sie zuletzt etwas gegessen? Am Abend zuvor eine Schale von Mrs Swindells Brühe … Ihre Lippen wurden ganz trocken vor Hunger.
Als sie durch die riesige, dampferfüllte Küche gingen, wurde der Duft intensiver. Mehrere Hausmädchen und eine fette Köchin brachen ihr Gespräch ab und beäugten sie neugierig. Kaum hatten Eliza und Mr Thomas die Küche verlassen, ertönte aufgeregtes Flüstern. Eliza kamen fast die Tränen bei dem Gedanken, so nah an etwas Essbarem gewesen zu sein, und das Wasser lief ihr im Mund zusammen.
Am Ende des Korridors trat eine dünne Frau mit einer mageren Taille und Gesichtszügen, die steife Förmlichkeit ausdrückten, aus einer Tür. »Ist das die Nichte, Mr Thomas?« Unverhohlen musterte sie Eliza von Kopf bis Fuß.
»Jawohl, Mrs Hopkins.«
»Es handelt sich nicht um einen Irrtum?«
»Bedauerlicherweise nein, Mrs Hopkins.«
»Verstehe.« Sie atmete langsam ein. »Man sieht jedenfalls, dass sie aus London kommt.«
Eliza spürte deutlich, dass das nicht gerade vorteilhaft für sie war.
»In der Tat, Mrs Hopkins«, sagte Mr Thomas. »Ich habe schon überlegt, ob wir sie vielleicht baden sollten, ehe wir sie präsentieren.«
Mrs Hopkins kniff die Lippen zusammen, dann stieß sie einen kurzen, entschlossenen Seufzer aus. »Ich teile Ihre Meinung, Mr
Thomas, aber ich fürchte, dafür reicht die Zeit nicht. Sie hat bereits ihren Unmut darüber zum Ausdruck gebracht, dass man sie warten lässt.«
Sie . Eliza fragte sich, wer sie wohl sein mochte.
Ihr fiel auf, dass Mrs Hopkins jedes Mal von einer gewissen Erregung ergriffen wurde, wenn dieses Wort fiel. Hastig strich sie zum Beispiel ihren tadellos sitzenden Rock glatt. »Das Mädchen soll in den Salon geführt werden. Sie wird das Kind dort in Empfang nehmen. In der Zwischenzeit lasse ich ein Bad einlaufen, dann wollen wir mal sehen, ob es uns gelingt, vor dem Abendessen ein bisschen von dem Londoner Dreck abzuwaschen.«
Es würde also ein Abendessen geben. Und schon so bald. Eliza wurde beinahe schwindlig vor Erleichterung.
Als sie hinter sich ein Kichern hörte, drehte sie sich um und sah gerade noch ein Hausmädchen mit einem Lockenkopf zurück in die Küche huschen.
»Mary!«, sagte Mrs Hopkins und ging dem Mädchen nach. »Du wirst noch eines Morgens aufwachen und über deine eigenen Ohren stolpern, wenn du nicht aufhörst, sie ständig auszufahren!«
Am Ende des Flurs führte eine schmale Treppe in einem leichten Bogen zu einer Holztür. Eliza folgte Mr Thomas, der mit forschen Schritten voranging. Durch die Tür traten sie in einen großen Raum.
Der Boden war mit hellen, quadratischen Fliesen bedeckt, und von der Mitte des Raums führte eine breite, geschwungene Treppe nach oben. An der hohen Decke hing ein Kronleuchter, dessen Kerzen den gesamten Raum mit warmem Licht erfüllten.
Mr Thomas durchquerte die Eingangshalle und ging auf eine glänzend rot lackierte Tür zu. Mit einer Kopfbewegung bedeutete er Eliza, zu ihm zu kommen.
Er schürzte seine bleichen Lippen, als er sie musterte, und um seine Mundwinkel bildeten sich kleine Fältchen. »Die Mistress,
deine Tante, wird in einer Minute hier sein, um dich zu begrüßen. Achte auf deine Aussprache und sprich sie nur mit ›Mylady‹ an, solange
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