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Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Titel: Der verborgene Hof: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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Hügelland war so trostlos wie in meiner Erinnerung. Ich hielt nach der Herberge Ausschau, in die Federo und ich damals zum Essen eingekehrt waren, aber ich fand sie nicht. Vielleicht war es ein Gebäude am Stadtrand gewesen, und ich hatte die Entfernung falsch im Gedächtnis.
    Holzzäune durchzogen die Landschaft. Die Vegetation bestand aus niedrigem, verkümmertem Gestrüpp, Dornenbüschen und Stachelgewächsen. Und obgleich ich hundert blühende Pflanzen und Kräuter der Steinküste nennen konnte, hatte ich keine Worte, weder Petraeanisch noch Seliu, für das, was so nah bei meinem Zuhause wuchs. Gelegentlich beäugten mich Ziegenherden, die so armselig aussahen wie ihre Weiden. Davon abgesehen hätte ich auf dem Mond sein können, so menschenleer war die Gegend.
    Voraus sah ich eine Bergkette in der Morgensonne. Sie war dunkel, ein Gemisch aus rosa und braunen und violetten Schattierungen, und sie musste, den Schatten nach, in nordwestlicher Richtung verlaufen.
    Nach all den Jahren hinter Mauern war ich erfreut, dass ich Landschaftsformen sehen und mir vorstellen konnte, wie sie auf einer Karte aussähen.
    Die Straße stieg leicht an, als ich Klein Bhopura hinter mir zurückließ. Nichts veränderte sich in der nächsten Stunde, außer dass die Zäune enger beieinanderstanden und die Ziegen zahlreicher wurden.
    All das änderte sich nur wenige Schritte später, als ich den höchsten Punkt erreichte und die Straße zwischen Böschungen abwärts verlief. Eine vollkommen andere Landschaft breitete sich vor mir aus, eine tiefer liegende Ebene, die sich bis zu den fernen Bergen erstreckte. Ein breiter, silbern gleißender Fluss wand sich gemächlich durch ein endloses Muster von Flächen und Linien.
    Reisfelder. Wassergräben. Dörfer. Da unten irgendwo, nicht weit, war mein Zuhause. Mein Fuß glitt auf lockeren Steinen aus, und ich landete zu meiner Überraschung auf dem Hintern. Die Erschütterung war heftig, und kleine Steine bohrten sich schmerzhaft tief in meine Seemannshose. Mehr erschütterte mich jedoch, dass sich meine Augen mit Tränen füllten, als wäre scharfer Pfeffer in meine Nase gelangt.
    Ich saß auf der Straße und schluchzte laut, wie ich es seit den ersten Tagen meiner Gefangenschaft nicht mehr getan hatte. Meine Heimat erstreckte sich vor mir wie die Gefilde der Verheißung vor Barzak, dem Befreier, im letzten Gesang aus dem Buch der Schicksalsgötter. Ich war jung, lebte und war der Sklaverei entkommen.
    Dennoch weinte ich. Meine Brust bebte. Dicker Schleim füllte meine Nase, bis ich zu ersticken drohte. Ein Kummer, für den ich keinen Namen hatte, umklammerte mein Herz. Mir wurde dunkel vor den Augen.
    Ich versuchte, meinen Kopf freizubekommen. Noch nie in meinem Leben hatte ich so geweint. Was beweinte ich bloß so heftig? Großmutter? Meine Mutter, an die ich mich gar nicht erinnerte? Mistress Tirelle?
    Schließlich wurde mir klar, dass ich um das Mädchen weinte, das ich hätte sein können. Die Frau, die ich nie sein würde. Mein Lebensweg hatte eine Wendung genommen, die wahrscheinlich nicht mehr rückgängig zu machen war. Dennoch musste ich Papa und Ausdauer finden, um zu sehen, was noch zu retten war. Ich wusste, dass mich mein Vater nicht erkennen würde, wenn ich diese Überlegung auch bisher vermieden hatte.
    Ich hoffte nur inständig, ihn zu erkennen.
    Ich brauchte geraume Zeit, um mich zu beruhigen. Schließlich stand ich auf, klopfte den Staub von meiner Hose und schritt den Hügel hinab. Der Fluss wand sich am Fuß des Hanges entlang. Es fiel mir noch immer schwer, Entfernungen abzuschätzen, aber selbst mein ungeübtes Auge erkannte, dass es nicht weit war hinunter zum Ufer. Ich sah eine Wegkreuzung, die mich irgendwo in die Nähe meines Zuhauses bringen mochte.
    Wenn ich es nicht fand, würde ich fragen. Wenn ich niemanden fand, den ich fragen konnte, würde ich diese Felder durchqueren, bis ich vor Papas Hütte stand.
    Natürlich konnte ich den letzten Teil des Weges nicht mehr zurückverfolgen. Federo hatte mir keine genauen Angaben mehr machen können. Ich kannte den Namen meines Vaters nicht. Er war immer nur Papa für mich gewesen. Ich schritt auf die kleine Ansammlung von Hütten an der Wegkreuzung zu.
    Der Fluss war träge und dunkel, als ich dort eintraf. Die höher wandernde Sonne hatte ihn des silbernen Widerscheins beraubt und tauchte das Land in ihre Glut. Mein festes Seemannshemd würde bald unerträglich sein, aber ich hatte nichts anderes anzuziehen, außer

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