Der verborgene Stern
ihren Rücken. Keine Stufen, einfach nur schwarze glänzende Seide. Ihre Augen sind groß mit schweren Lidern und langen Wimpern. Knallblaue Augen. Kurze gerade Nase. Einfach perfekt.“
„Ich beginne sie zu hassen“, meinte Sara schmunzelnd.
Bailey musste lächeln. „Es ist schwer, so irrsinnig schön zu sein, glauben Sie nicht? Die Menschen sehen immer nur das Äußere.“
„Ich denke, damit könnte ich leben. Was ist mit dem Mund?“
„Üppig. Volle Lippen.“
„War ja klar.“
„Ja, das ist gut.“ Plötzlich wurde Bailey von Aufregung erfasst. Das Bild entstand in rasender Geschwindigkeit vor ihren Augen. „Die Augenbrauen sind etwas dicker, und neben der linken ist ein kleines Muttermal. Genau hier“, sagte sie, während sie auf ihr eigenes Gesicht deutete.
„Jetzt hasse ich sie wirklich“, murrte Sara. „Ich will gar nicht erst wissen, ob sie den passenden Körper zu diesem Gesicht hat. Bitte sagen Sie, dass sie abstehende Ohren hat.“
„Nein, tut mir leid.“ Bailey lächelte die Zeichnung an, wieder fühlte sie Wärme in sich aufsteigen. „Sie ist einfach wunderschön. Man glaubt, seinen Augen nicht zu trauen.“
„Sie kommt mir bekannt vor.“
Bailey versteifte sich. „Ja? Wirklich?“
„Ich könnte schwören, dass ich dieses Gesicht schon einmal gesehen habe.“ Sara klopfte mit dem Stift auf die Zeichnung. „Vielleicht in einer Zeitschrift. Sie sieht wie ein Model aus – für Parfüm oder teure Gesichtscreme. Wenn man so ein Millionen-Dollar-Gesicht hat, wäre man ja irre, das nicht auszunutzen.“
„Ein Model.“ Bailey biss sich auf die Unterlippe, versuchte angestrengt, sich zu erinnern. „Ich weiß es einfach nicht.“
Sara riss das Blatt ab und reichte es Cade. „Was denkst du?“
„Umwerfend“, sagte er nach einem Moment. „Der liebe Gott muss bei ihrer Geburt verdammt gute Laune gehabt haben. Aber ich kenne dieses Gesicht nicht, und kein lebendiger Mann könnte es vergessen, wenn er es einmal vor sich gehabt hätte.“
Ihr Name ist Grace, dachte Bailey. Und sie ist nicht nur schön. Sie ist mehr als nur ein Gesicht.
„Gute Arbeit, Sara.“ Cade legte die beiden Zeichnungen auf die Küchentheke. „Hast du Zeit für ein weiteres Bild?“
Sara schaute kurz auf ihre Uhr. „Ich habe noch ungefähr eine halbe Stunde.“
„Der Mann, Bailey.“ Cade beugte sich vor, bis ihre Augen auf gleicher Höhe waren. „Du weißt, wie er aussieht.“
„Ich weiß nicht …“
„Du weißt es“, sagte er fest, während er ihr beruhigend über die Arme strich. „Es ist wichtig. Erzähl Sara einfach, was du gesehen hast.“
Bailey wusste, dass die Erinnerung schmerzen würde. Ihr Magen verkrampfte sich bei der bloßen Idee, sich sein Gesicht vorzustellen. „Ich möchte ihn nie wieder sehen.“
„Du möchtest aber Antworten finden. Du willst, dass es endlich vorbei ist. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Und du musst ihn gehen.“
Sie schloss die Augen. In ihrem Kopf begann es zu pochen, als sie sich wieder zurückversetzte in den Raum mit dem grauen Teppich und dem dröhnenden Gewitter.
„Er ist dunkel“, begann sie leise. „Sein Gesicht ist lang, schmal. Er ist ganz starr vor Wut. Sein Mund ist verzerrt. Schmal, stark und eigensinnig. Er hat eine leichte Hakennase, aber keine hässliche. Ein sehr starkes Gesicht. Seine Augen liegen tief. Dunkel. Dunkle Augen.“
Funkelnd vor Zorn. Mordgelüste blitzten darin auf. Sie erschauerte, schlang die Arme um ihren Oberkörper und versuchte, sich weiter zu konzentrieren.
„Eingefallene Wangen und hohe Stirn. Seine Augenbrauen sind dunkel und gerade. Seine Haare auch. Voll am Oberkopf, an den Seiten sehr akkurat geschnitten. Ein attraktives Gesicht. Der Kiefer verdirbt das gute Aussehen etwas, er ist weich, ein wenig schwach.“
„Ist er das, Bailey?“ Cade legte wieder eine Hand auf ihre Schulter und drückte sanft zu.
Sie öffnete die Augen. Es war nicht ganz richtig, nicht perfekt. Die Augen hätten etwas weiter auseinander stehen müssen, der Mund etwas voller sein können. Aber die Ähnlichkeit war groß genug, um sie erzittern zu lassen.
„Ja, fast.“ Sie nahm all ihre Kraft zusammen, um sich zu erheben. „Entschuldigt mich bitte“, murmelte sie dann und verließ ohne ein weiteres Wort das Zimmer.
„Die Kleine ist ziemlich verängstigt“, bemerkte Sara, während sie die Bleistifte in ihren Koffer legte.
„Ich weiß.“
„Erzählst du mir, in was für Schwierigkeiten sie
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