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Der verbotene Fluss

Der verbotene Fluss

Titel: Der verbotene Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Goga
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schüttelte den Kopf und legte einen Kuchen auf ihren Teller. »Jetzt nicht mehr, Fräulein Pauly. Aber wir geben darauf acht, was ich esse, damit ich nicht wieder krank werde.«
    »Ich verstehe.« Sir Andrew hatte es in seinem Brief erwähnt.
    »Emily ist ein zartes Kind. Sie darf sich nicht überanstrengen«, sagte Nora in abgehacktem Ton, als stieße sie die Sätze mühsam hervor.
    »Natürlich nicht.« Charlotte trank von ihrem Tee, der ein köstliches Aroma verbreitete. »Du kennst Emily seit ihrer Geburt?«
    »Ja.«
    Charlotte seufzte innerlich; sie konnte nur hoffen, dass Sir Andrew auf die Dienste des Kindermädchens verzichten würde, sobald sich das Zusammenleben von Gouvernante und Schülerin eingespielt hatte. Diese einsilbige und feindselige Art konnte Charlotte auf Dauer nicht hinnehmen.
    »Ihr wohnt hier in einer sehr schönen Gegend, Emily. Wir werden demnächst viele Spaziergänge unternehmen, dann kannst du mir alles zeigen.«
    Diesmal schaute Emily nicht zu Nora, sondern antwortete gleich. »Gern, Fräulein Pauly. Hier gibt es viel zu sehen.«
    »Wir könnten Blätter sammeln und für ein Album pressen. Das habe ich als Kind auch gemacht«, schlug Charlotte vor und spürte Noras Blick auf sich. Es war, als würde dort, wo die Augen des Kindermädchens sie trafen, ihr Gesicht brennen.
    »Ja, das ist eine schöne Idee. Vielleicht kann ich Papa das Album zu Weihnachten schenken.« Dabei schaute sie unwillkürlich zur Tür, als rechnete sie damit, ihren Vater dort zu sehen. »Er müsste bald nach Hause kommen, Fräulein Pauly. Er freut sich sicher, Sie kennenzulernen.«
    Freude war wohl kaum das richtige Wort, wenn es um einen Arbeitgeber ging, der seiner Angestellten zum ersten Mal begegnete, dachte Charlotte amüsiert, aber das Mädchen meinte es gut.
    »Wenn dein Vater einverstanden ist, werde ich gleich morgen mit dem Unterricht beginnen. Wir fangen ausnahmsweise um zehn statt um neun Uhr an, da ich meine Sachen im Schulzimmer einräumen und alles vorbereiten muss. Außerdem werden wir von nun an gemeinsam frühstücken.«
    Nora erhob sich so abrupt, dass ihr Stuhl fast nach hinten gekippt wäre. Emily sah sie erschrocken an, sprang auf und legte ihr die Hand auf den Arm, eine vertrauliche Geste, die Charlotte aufmerksam registrierte. Sie musste unbedingt vermeiden, dass sich Emily zwischen ihnen hin und her gerissen fühlte – immerhin kannte sie das Kindermädchen ein Leben lang. Es war am besten, sie sprach mit Nora unter vier Augen, um alle Unstimmigkeiten zu beseitigen. Ihre Zeit in Chalk Hill durfte nicht von Beginn an unter einem ungünstigen Stern stehen.
    Nora stand reglos da und sah von Emily zu Charlotte und wieder zurück. Die Ader, die an ihrem Hals pulsierte, war das einzig Lebendige an ihr. Dann schluckte sie mühsam und senkte den Kopf. »Ich werde Miss Emily rechtzeitig wecken. Verabschiede dich jetzt, du hast noch einige Handarbeiten zu erledigen. Dein Vater wünscht es so.«
    Charlotte spürte, wie viel Überwindung es die junge Frau kostete, ihre Gefühle im Zaum zu halten. Hier war Behutsamkeit angebracht. »Damit bin ich natürlich einverstanden. Handarbeiten sind wichtig, auch wenn sie nicht allen Mädchen leicht von der Hand gehen. Wie steht es mit dir, Nora? Bist du gut darin?«
    Das Kindermädchen zögerte. »Ich … Ich kann gut stricken und stopfen. Sticken liegt mir weniger.«
    »In Ordnung, dann kannst du Emily weiter darin unterweisen, während ich das Sticken übernehme.«
    Nora nickte nur, doch die leichte Röte auf ihren Wangen verriet, dass sie nicht mit diesem freundlichen Entgegenkommen gerechnet hatte. Sie versetzte Emily einen sanften Schubs, worauf diese vor Charlotte hintrat und ihr die Hand gab.
    »Bis morgen, Fräulein Pauly. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Abend.«
    In ihrem Turmzimmer betrachtete Charlotte nachdenklich die mitgebrachten Bücher und Hefte. Das Schulzimmer schien gut ausgestattet zu sein, und sie freute sich darauf, Emily dort zu unterrichten. Sie war froh, dass sich die Gelegenheit geboten hatte, Nora ein Friedensangebot zu unterbreiten. Als sie aufgesprungen war, hatte Charlotte eine unschöne Szene vor den Augen des Kindes befürchtet. Sie wollte mit ihrem behutsamen Vorgehen aber nicht nur Emily schützen, sondern auch sich selbst, denn wenn Sir Andrew Clayworth erfuhr, dass es bereits Streit gegeben hatte, bevor er die neue Hauslehrerin kennengelernt hatte, hätte dies auch ihr geschadet. Charlotte musste sich Ansehen und

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