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Der verbotene Fluss

Der verbotene Fluss

Titel: Der verbotene Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Goga
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zurückbleiben, und ging mit langsamen Schritten auf das Tor zu. Beim Näherkommen erkannte sie die kleine Gestalt im dunklen Kleid, die dort hockte, fest in den Winkel zwischen Mauer und Tor gepresst. Charlotte wagte kaum zu atmen, weil sie fürchtete, Emily abermals aufzuschrecken. Als sie nur noch wenige Meter von ihr entfernt war, sagte sie leise: »Emily, darf ich zu dir kommen?«
    Keine Antwort. Sie nahm es als Ja und näherte sich vorsichtig und noch langsamer als zuvor.
    Schließlich war der Abstand zwischen ihnen nur noch so gering, dass sie sich hinkniete und die Hand nach Emilys Schulter ausstreckte. Die Kleine kauerte am Boden, den Kopf auf die Knie gelegt, und schaute sie nicht an.
    »Es tut mir leid. Du bist weggelaufen, weil ich dir nicht geglaubt habe, stimmt’s?«
    Ein kaum merkliches Nicken.
    »Verzeih mir. Es war nicht richtig, von meinem Traum zu erzählen. Ich hätte dir besser zuhören müssen.«
    Zuerst konnte sie das Geräusch nicht deuten, dann erkannte sie, dass dem Mädchen vor Kälte die Zähne aufeinanderschlugen. Behutsam zog sie Emily vom Boden hoch, hob sie auf den Arm und trug sie, gefolgt von Wilkins, durch den Garten zurück ins Haus.
    »Was ist passiert?«, fragte Mrs. Evans, die in der offenen Haustür stand und ihnen verwundert entgegenschaute.
    »Wir brauchen eine Decke und etwas Warmes zu trinken«, sagte Charlotte entschieden. »Ist Sir Andrew zu Hause? Dann holen Sie ihn bitte.«
    Mit diesen Worten ging sie an der verblüfften Haushälterin vorbei zum Wohnzimmer, wo sie das Mädchen auf ein Sofa bettete und in eine Decke hüllte, die Susan hereingebracht hatte. Sie strich Emily übers Haar und drehte sich um, als Mrs. Evans mit einem Tablett hereinkam.
    »Sir Andrew kommt sofort. Haben Sie alles, was Sie brauchen?«
    Charlotte nickte, worauf sich die Haushälterin zurückzog.
    Kurz darauf trat Sir Andrew ein und eilte sofort zum Sofa, auf dem Emily lag. Er strich ihr übers Haar und schaute Charlotte scharf an. »Was ist passiert?«
    »Das würde ich Ihnen lieber unter vier Augen sagen.«
    Sein Blick war misstrauisch, doch er ging zur Tür. »In der Bibliothek.«
    Charlotte setzte sich neben das Mädchen und reichte ihr die heiße Schokolade, die Mrs. Evans gebracht hatte. »Ich bin gleich wieder da. Soll Nora kommen?«
    Emily nahm die Tasse mit beiden Händen, als wollte sie sich am Porzellan wärmen, trank einen Schluck und schloss erschöpft die Augen. »Ja, bitte«, sagte sie kaum hörbar.
    Als sie die Tür der Bibliothek hinter sich geschlossen hatte, lehnte Sir Andrew mit verschränkten Armen am Lesetisch und sah sie prüfend an. »Sagen Sie mir, was passiert ist.«
    Charlotte berichtete, was sich zugetragen hatte, ohne sich selbst dabei in ein gutes Licht zu rücken.
    »Vielleicht war es unklug, von meinem Traum zu erzählen. Emily fühlte sich wohl missverstanden, sie hat gedacht, ich glaube ihr nicht.«
    Sir Andrew sagte zunächst nichts, sondern atmete ein paarmal tief durch.
    Auch Charlotte seufzte erschöpft. Noch nie war die Arbeit mit einem Kind so heikel gewesen, noch nie hatte eine Schülerin solche Gefühle in ihr ausgelöst. Um nichts in der Welt wollte sie diese Stelle verlieren, fühlte sich aber auf unerträgliche Weise zwischen ihren Pflichten gegenüber Emily und deren Vater hin und her gerissen.
    »Sie haben das Richtige getan«, sagte Sir Andrew schließlich mit rauer Stimme, stieß sich vom Tisch ab und trat an eines der deckenhohen Regale, als wollte er in seinen Büchern Rat suchen. »Ich hätte es nicht anders gemacht.«
    Sie schloss vor Erleichterung flüchtig die Augen. »Aber was soll jetzt werden? Ich fürchte um Emilys Sicherheit. Wenn sie erneut davonläuft und wir es nicht sofort merken …« Sie zögerte. Es war, als stünde sie am Rand einer Klippe. Nur Mut, sagte sie sich. »Sir Andrew, darf ich Sie etwas fragen?«
    »Bitte.«
    »Ist Ihre Frau damals – durch das Tor in der Mauer zum Fluss gegangen?« Ihr Herz schlug so heftig, dass es wehtat.
    Er drehte sich abrupt herum, und sie las den Schmerz in seinen Augen.
    »Ja.« Er stieß das Wort mühsam hervor. »Aber ich weiß nicht, was Sie das angehen sollte.«
    Charlotte sah zu Boden. Mit dieser Entgegnung hatte sie gerechnet, durfte jetzt aber nicht aufgeben.
    »Eigentlich gar nichts. Ich frage nur, weil ich Emily an ebendieser Stelle gefunden habe. An einen Zufall kann ich nicht glauben. Und sie hat kürzlich erwähnt, dass sie den Wald nicht mag.«
    Er trat an den Tisch und

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