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Der verbotene Kuss

Der verbotene Kuss

Titel: Der verbotene Kuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laini Taylor
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Aber woraus? Wen oder was hatte sie in diese stinkenden Wächter von Tajbel verwandelt? Irgendwelche unglückseligen Menschen, vor langer Zeit? Druj, die in Ungnade gefallen waren? Bei dem Gedanken schauderte er.
    »Er könnte fliehen –«, begann Isvant, aber die Königin fiel ihm ins Wort.
    »Keine Sorge. Er wird beobachtet. Kommt mit«, befahl sie, und sie folgten ihr eine Wendeltreppe hinab in die Tiefen ihres Turms bis zu einer Tür. Dort warteten sie, während sie aufschloss und eintrat. Im Raum dahinter war es dunkel, aber Mihai konnte Silberglanz erkennen und die leise Bewegung kleiner Scharniere hören. Er spähte durch die Tür und sah Augen, Dutzende, Hunderte, die ihn aus dem Dämmerlicht anstarrten. Auf den ersten Blick erschien es ihm wie eine Horde Lebewesen, die dort im Dunkeln hockten, still wie Katzen auf der Pirsch. Doch rasch erkannte er, dass es sich nicht um Lebewesen handelte, sondern nur um körperlose Augen. Zum ersten Mal sah er das Tabernakel der Spione.
    Die Königin holte eine Eidechse aus der Dunkelheit. Das Tier hatte ein Halsband, mit dem es an eine Metallschelle gekettet war, und Letztere legte sie Mihai um den Oberarm. Das Eisen schloss sich mit einem Klicken, und sie setzte ihm die Eidechse auf die Schulter. Das Tier betrachtete ihn aus einem einzigen goldenen Auge. Das andere befand sich ohne Frage irgendwo im Tabernakel hinter einem der silbernen Lider. »Für dich«, sagte die Königin. »Ein kleiner Liebling.«
    »Ein Spion «, antwortete er.
    »Ja, gewiss. Aber behandele ihn wie deinen kleinen Liebling. Gib ihm Futter und einen Namen , wenn du möchtest, und pass gut auf ihn auf. Ich schaue zu, Naecish.«
    Er gab der Eidechse keinen Namen, jedenfalls zunächst nicht. Aber im Laufe der Monate gewöhnte er sich daran, durch das goldene Auge gemustert zu werden, entwickelte sogar Zuneigung zu dem Tier und nannte es Zaranya. Golden . Mit dem Gewicht auf den Schultern und sogar trotz der hervorzuckenden Zunge fühlte er sich weniger allein in der freudlosen Einöde von Tajbel.
    Aber er war allein. Selbst mitten unten all den Druj fühlte er, dass er und Zaranya die einzigen lebendigen Wesen in einer Stadt voller Untoter waren. Nun, nicht ganz die einzigen lebendigen Wesen. Es gab auch noch die Bestien, die mit ihrem entsetzlichen Hunger nicht so tot waren wie die Druj, und auch die Katzen durfte man nicht vergessen. Und natürlich waren da auch noch die beiden jungen Menschen. Die beiden zusammen zu sehen, verstärkte Mihais Verzweiflung.
    In den Wochen, nachdem sie sich zum ersten Mal vereint hatten, beobachtete er sie aus den Augenwinkeln und erkannte − da er schließlich mehr auf Menschsein eingestellt war als die anderen Druj − was zwischen ihnen zu wachsen begann. Obwohl die blauen Spiralen immer wieder auf ihre Haut gemalt wurden und Königin und Isvant die Scharade fast täglich wiederholten, gab es viele Stunden, in denen das Mädchen und der Junge allein blieben. Und wie hätte es anders sein können, als dass sie an diesem Ort beieinander Trost suchten?
    Eines Tages, mehrere Monate später, sah Mihai sie Seite an Seite im höchsten Fenster des Königinnenturms in der Sonne sitzen und ihre dünnen Beine über die Kante baumeln lassen. Ihre Schultern berührten sich, und schüchtern sahen sie sich mit aufgeschlagenen Augen an. Sie hakten die kleinen Finger ineinander, als sie aufstanden und wieder hineingingen, wie Kinder, die zu einer Bank in einem Park schlenderten, und nicht wie Gefangene inmitten von Wildnis und Dämonen.
    Angesichts dieser eingehakten Finger hätte er weinen mögen. Er dachte an Mahzarin, wie sie einst gewesen war, und wünschte sich mit einer Sehnlichkeit, die seine Seele erschütterte, eine so unschuldige Berührung wie diese. Er wünschte sich nur einen Blick. Seit ihrer Ankunft in Tajbel hatte sie ihn kaum mehr angesehen. Sie musste die Zitadelle regieren und war mit den beiden jungen Menschen sehr beschäftigt, aber wann immer Mihai in der Nähe war, schien sie in eine andere Richtung zu sehen. Er fand, dass ihre Kälte einen zu achtsamen Zug an sich hatte, als versuche sie, etwas in sich zu verleugnen, indem sie ihm aus dem Weg ging, und er wusste recht gut, worum es sich dabei handelte.
    Es war Verlangen. Einst hatte es ihn ebenso getrieben. Die Königin versuchte es zu verbergen, aber sie hatte Verlangen nach Menschsein , nach warmem Fleisch, rauschendem Blut und nach Erinnerungen. Sie lebte es im Körper ihrer Izha aus und schloss sich

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