Der verbotene Kuss
gedankenlos gehandelt, wie mein Vater mir das immer vorgeworfen hatte. Ich bin ins Haus gestürmt und habe gesehen, dass mein Onkel seine Frau geschlagen hatte. Sie hatte ein blaues Auge und rote Striemen auf den Wangen. Sie saß in einer Ecke des Raums und weinte, während mein Onkel mit geballten Händen vor ihr stand. Mein Gott, sie war halb so groß wie er! Und der Bastard hatte sie mit seinen Fäusten traktiert!“
Entsetzen erfüllte Felicity. „Oh, Ian“, murmelte sie mitfühlend.
Er schien sie nicht gehört zu haben. „Ich drehte durch. Ich habe ihn attackiert. Wir haben miteinander gerungen, aber einem hitzköpfigen Neunzehnjährigen war er nicht gewachsen. Ich hatte ihn bald zu Boden geworfen und drosch auf ihn ein. Meine Wut war so groß, dass ich an nichts anderes mehr dachte, als ihn umbringen zu wollen. Und dann trat meine Tante hinter mich und hielt mich am Arm fest, damit ich ihn nicht erwürgte. Ich schüttelte sie jedoch mit solcher Kraft ab, dass sie . . . dass sie . . .“ Er hielt einen Moment inne, straffte die Schultern und richtete gequält den Blick auf die Gattin. „Meine Tante verlor das Gleichgewicht und torkelte gegen den Kamin. Sie schlug mit dem Kopf gegen den Sims. Der Doktor hat gesagt, sie sei sofort tot gewesen.“ „Großer Gott!“ flüsterte Felicity. „Deine arme Tante!“ Es war jedoch nicht die arme Tante, derentwegen sie so erschüttert war. Sie war ihres geliebten Mannes wegen so erschüttert, der all diese ihn belastenden Dinge so lange in sich verschlossen gehalten hatte. Sie wünschte sich, alles schon viel früher gewusst zu haben.
„Ja, meine arme Tante! Da sie zwischen zwei so Wüterichen stand wie mir und meinem Onkel, hatte sie nicht die Möglichkeit, ein glückliches Leben zu führen.“
Ian vergrub das Gesicht zwischen den Händen. Da es Felicity drängte, ihn zu trösten, beugte sie sich vor und legte ihm die Hand auf den Rücken. Eine Weile herrschte Stille im Wagen. Als Felicity sie nicht mehr ertragen konnte, sagte sie: „Ich begreife, mein Liebster, warum du leidest, aber du bist nicht schuld am Tod deiner Tante. “
„Nicht schuld?“ rief Ian aus und hob den Kopf. „Wieso soll ich nicht schuld sein? Ich habe mich in etwas eingemischt, das mich nichts anging. Ich habe die Beherrschung verloren und eine zierliche Frau so hart gestoßen, dass sie stürzte und dabei zu Tode kam.“
Verzweifelt suchte Felicity nach Worten, die ihm die Schuldgefühle nehmen würden. „Sie hätte auch gegen ein weiches Möbelstück fallen können. Zugegeben, es war tragisch, dass das nicht der Fall war, aber du kannst nicht dir die Schuld an diesem misslichen Umstand geben. Außerdem hätte dein Onkel seine Frau wahrscheinlich umgebracht, wärst du nicht dazwischengegangen. “
„Aber das hat er nicht getan. Begreifst du nicht? Ich habe das getan.“
„Du hast nur versucht, sie zu beschützen. Vernünftigerweise kann niemand dir die Schuld an ihrem Tod geben.“ „Meine Familie hat das getan.“
„Dein Onkel . . .“
„Er nicht.“ Ians Miene sah versteinert aus. „Ich meine, er hat mich beschuldigt. Das tut er noch immer. Aber mehr als das kann er nicht tun. Schließlich ist er kein Dummkopf. Er wusste schon damals, dass ich, würde er mich offen bezichtigen, Cynthia getötet zu haben, ihn beschuldigen würde, seine Frau geschlagen zu haben. Er hatte nicht den Wunsch, die Wahrheit bekannt werden zu lassen. Er wollte sein wahres
Wesen auch meinem Vater gegenüber nicht deutlich werden lassen.“
„Ihr beide habt deinem Vater also nicht erzählt, was tatsächlich passiert ist?“
Ian setzte sich aufrecht hin und entzog sich der Hand der Gattin. „Bis Vater geholt worden war und sah, dass ich meine Tante in den Armen hielt und mir laut die heftigsten Vorwürfe machte, hatte mein Onkel sich bereits so weit gefasst, dass er ihm eine Version des Vorfalls erzählen konnte. Ich versichere dir, darin kam nicht die Tatsache vor, dass mein Onkel seine Frau geschlagen hatte. Er erzählte meinem Vater, dass er mich dabei ertappt habe, wie ich Tante Cynthia belästigte. Bei dem nachfolgenden Gerangel hätte sie versucht, uns auseinander zu bringen, und sei dann gestürzt.“
„Der Bastard!“ äußerte Felicity und war noch wütender auf Ians Onkel. Wie konnte er es gewagt haben, Ian vor seinem Vater anzuschwärzen, da dieser bereits so wenig Vertrauen zu seinem Sohn gehabt hatte? „Nun, dein verdammter Onkel bleibt zumindest beharrlich bei seinen Lügen. Er
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