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Der verbotene Schlüssel

Titel: Der verbotene Schlüssel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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drehen.«
    Ich war hin- und hergerissen. Ließ sich der Mechanismus tatsächlich beherrschen, wie Taqi behauptet hatte? Nichts wünschte ich mir mehr, denn andernfalls gäbe es für Meister Poseidonios kaum noch Hoffnung.
    »Bitte zieh das Uhrwerk auf!«, sagte jetzt auch Taqi.
    Widerstrebend griff ich nach dem kleinen Schlüssel. Mein Handgelenk versteifte sich. Es schien sich gegen den Befehl des Geistes aufzulehnen, als wolle es mich warnen: Gebrauche ihn nicht! Es ist verboten und wird euch alle ins Unglück stürzen.
    »Nur keine Bange, Junge«, redete Meister Hans mir Mut zu.
    »Wir sind ja bei dir«, stimmte Giovanni mit ein.
    »Bei der geringsten Kalamität halten wir sie gleich wieder an«, versprach Taqi.
    Kalter Schweiß trat auf meine Stirn. Was sollte ich tun? Angesichts des massiven Zuspruchs konnte ich mich nicht länger sträuben. Mein Gefühl mochte mich trügen. Es war nur ein Räderwerk. Niemand hatte das Verbot ausgesprochen, es in Gang zu setzen. Also drehte ich den Schlüssel herum.
    Und wartete.
    Drei geweitete Augenpaare pendelten zwischen mir und dem Ei hin und her.
    Plötzlich durchdrang mich ein seltsames Kribbeln. Meine Hand am Schlüsselchen erstarrte. Angstvoll lauschte ich in mich hinein.
    »Hört Ihr das auch?«, hauchte Taqi verzückt. Einhelliges Nicken. Das metallische Singen der im harmonischen Gleichklang hallenden Töne schien nur in unseren Köpfen zu existieren. »Es ist die Sphärenmusik«, sagte er voller Ehrfurcht.
    Ich konnte mich weniger als die anderen für den Chor der Sphären begeistern. Mein Körper fühlte sich an, als habe ein Folterknecht ihn auf die Streckbank gespannt und beginne nun lustlos mit der Arbeit. Mir wurde schwindlig. Meine Augen taten weh. »Helft mir!«, rief ich in verzweifelter Angst.
    Die drei Uhrmacher wirkten ratlos. Sie hörten nur die bezaubernde Sphärenmusik, der Panikanfall ihres Famulus war für sie mehr befremdend als besorgniserregend.
    Endlich streckte Meister Taqi die Hand nach dem Schlüssel aus, an dem ich mich festklammerte wie ein Ertrinkender an seinen Retter. Ehe der Osmane eingreifen konnte, geschah mit mir etwas Grauenvolles. Es kündigte sich durch einen ziehenden Schmerz an. Ich wurde in das Uhr-Ei hineingezogen. Mit Haut und Haar verschwand ich darin.

23
    D as ist echt übel«, sagte Sophia mitleidvoll. Sie sprach aus eigener Erfahrung. Ihre Zurückhaltung, insbesondere gegenüber dem männlichen Geschlecht, ließ nicht zu, die eigenen Empfindungen ausführlicher zu schildern. Dass Theo nämlich so offen über sich und seine Gefühle gesprochen hatte, berührte sie zutiefst. Fast hätte sie geheult, als er sich zu seiner unverwüstlichen Kindlichkeit bekannte. Andere Jungen wollten immer nur cool sein. Aber welches Mädchen wünscht sich schon Kälte an ihrer Seite? Theo war wohltemperiert wie das Leben selbst.
    »Sind wir da?«, fragte er. Der Zug rollte gerade in den Bahnhof Luzern ein. Es war kurz vor zwölf am Mittag.
    Sie nickte. »Ich hätte dir gerne noch länger zugehört, aber wir müssen aussteigen.«
    Theo griff nach dem Rucksack auf der Gepäckablage. »Darf ich den für dich tragen?«
    Sie schmunzelte. »Kavalier alter Schule, was? Meinetwegen, aber geh vorsichtig damit um.« Sophia wunderte sich über sich selbst. Vor vierundzwanzig Stunden hätte sie Theo freiwillig nicht einmal ihre Armbanduhr überlassen. Und jetzt ließ sie ihn das Fabergé-Ei mit dem kosmischen Mechanismus und Opa Oles Merkwürdigstes Buch der Welt tragen – von ihrem Computer einmal ganz abgesehen.
    Die beiden hatten eine anstrengende Reise hinter sich. Über die Mitfahrzentrale waren sie noch am vergangenen Abend an einen fahrbaren Untersatz gekommen. Nachts um elf fuhr der Medizinstudent mit ihnen aus Berlin weg – er toure immer durch die Lande, wenn die anderen schliefen, hatte er gesagt.
    Diese Gewohnheit wurde seinen zwei Mitfahrern zum Fluch. Sie bekamen bis morgens um acht kaum ein Auge zu, weil ihr Chauffeur eine Quasselstrippe und seine fahrbare Rostlaube eine langsame Schnecke voller schlafstörender Eigenschaften war: klein, eng, laut, stinkend. In einem Punkt hatte Doktor Sibelius allerdings recht behalten: Die Fahrt war billig.
    Kaum verwunderlich, dass Theo unter diesen Bedingungen seine Geschichte nicht hatte weitererzählen können. Am Stuttgarter Hauptbahnhof waren die zwei gegen acht in den Intercity-Express nach Zürich gestiegen. Kaum saßen sie in ihren Sesseln im Großraumwagen, da sanken auch schon ihre Köpfe

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