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Der verbotene Schlüssel

Titel: Der verbotene Schlüssel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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…«
    »Und dass ich hier wie aus dem Nichts aufgetaucht bin? Wie erklärt Ihr Euch das?«
    »Alles gut und schön. Ich weigere mich trotzdem zu glauben, dass ein Mechanismus, der nur im Kopf existiert, Flutwellen und Sonnenfinsternisse auslösen kann.«
    »So ist es aber gewesen«, beharrte ich.
    »Jeder bedeutende Plan wird zunächst von einem Geist ersonnen«, philosophierte Taqi. »Sowohl die großen Tragödien als auch die Sternstunden in der Menschheitsgeschichte haben einen immateriellen Ursprung.«
    »Bitte lasst die Finger davon«, flehte ich. »Der Mechanismus bringt allen nur Unglück.«
    »Und was wird aus deinem Mentor, dem alten Poseidonios?«, fragte der Osmane. »Ist er nicht immer noch im erstarrten Mekanis gefangen? Ich gebe dir recht, was das Herumspielen mit dem Buch der Zeit im Geiste betrifft. Aber mit Uhren kennen Meister Gruber und ich uns aus. Ich kann dir versichern, junger Freund, ein Mechanismus tut nur das, was sein Schöpfer ihm zu tun erlaubt. Mit einer richtigen Weltenmaschine würde Poseidonios’ Reich kontrollierbar und er könnte gefahrlos in die lebendige Welt zurückgebracht werden. Was hältst du davon?«
    Was der Gelehrte aus Konstantinopel vorschlug, klang verlockend. Ich wollte Meister Poseidonios nicht im Stich lassen. Der alte Philosoph war immer streng, aber meistens gut zu mir gewesen. Durfte man das Risiko eingehen, einen kosmischen Mechanismus zum Anfassen zu verwirklichen? Eine Uhr, die man nach Belieben in Gang setzen und anhalten konnte? Mir war nicht wohl bei der Sache. Um Poseidonios’ willen sagte ich trotzdem: »Gut, ich helfe Euch, die Weltenmaschine zu bauen.«

22
    E in starkes Jahr später hatten sich vier Personen in der Werkstatt von Meister Hans versammelt. Er selbst, dann Taqi al-Din, außerdem der spanische Uhrmacher Giovanni Torriano und zu guter Letzt ich.
    Derweil sie ein eiförmiges Universum en miniature erschufen, schlüpfte ich endgültig aus dem Ei der Kindheit heraus. Nach einer Brutzeit von eintausendsechshundert Jahren sicher nicht zu früh. Wer so lange die Menschen in ihrem Tun beobachtet, der lernt viel über ihre Seele. In meinem Denken und Fühlen war ich während der Arbeit an dem Weltenei weiter gereift. Äußerlich blieb ich nahezu unverändert, so als würde der Bann der Zeitlosigkeit noch an mir haften – und vielleicht tat er das ja wirklich.
    Aus diesem scheinbaren Widerspruch erwuchs mir eine Gabe, die Erwachsene gewöhnlich nicht haben. Trotz aller Übel, die ich am eigenen Leib erfahren und im Labyrinth der Zeit gesehen hatte, bewahrte ich mir die kindliche Sicht auf die Welt: das Staunen, die Neugierde, das Vertrauen, die Unschuld.
    Weil das von Hans gesprochene Deutsch dem Wurzelstock der germanischen Sprachfamilien entstammte, hatte ich überdies mühelos die Unterschiede zu meiner Muttersprache verinnerlicht. Inzwischen konnte ich mich in der fränkischen Mundart fließend mit meinem neuen Meister unterhalten. Mit Meister Taqi und Meister Giovanni verständigte ich mich weiterhin in Latein.
    Ich diente den Uhrmachern vornehmlich als Famulus, der Hilfsdienste leistete, und manchmal als Ratgeber. Wenn die Arbeit wieder einmal stockte, weil der Konstruktionsplan wichtige Details missverständlich beschrieb, half ich ihnen mit meinen Erinnerungen auf die Sprünge. Nicht selten rieben sich die drei starken, ganz verschiedenen Persönlichkeiten auch wegen irgendwelcher Kleinigkeiten aneinander. Dann – so pflegte Meister Hans sich auszudrücken – genügte oft ein Blick aus meinen »hypnotischen Augen«, um die erhitzten Gemüter abzukühlen.
    Für die Zuarbeit spannte er überdies einige Gesellen ein, die ansonsten weiter seine begehrten Ührlein bauten. So gelang es uns beinahe, die von Taqi al-Din gesetzte Frist einzuhalten. Im Frühling setzten die drei Meister den kosmischen Mechanismus zusammen. An einem stürmischen Abend – bis auf uns vier war die Werkstatt menschenleer – bettete der Nürnberger ihn in das hübsch verzierte, beidseitig aufklappbare Messinggehäuse.
    Von oben betrachtet, sah das Ergebnis einem großen Ei nicht unähnlich. Für Meister Hans war es die natürlichste Form der Welt, die ihn auch zu manch eigener Uhr-Schöpfung inspiriert hatte. Taqi entzückte die Analogie zum silbernen Weltenei des Kronos in der griechischen Mythologie. Giovanni war die Form egal. Und für mich stellte sie eine unangenehme Erinnerung an Poseidonios’ Traum dar.
    Meister Hans bemerkte wohl meinen unglücklichen

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