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Der verbotene Schlüssel

Titel: Der verbotene Schlüssel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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esch do?«, hallte es durch die Wohnungstür. Eindeutig die Stimme eines Mannes.
    »Herr Nico dei Rossi?«, fragte Sophia.
    »Wer send Sie?«, erwiderte das Auge. Sein Schwyzerdütsch hatte einen italienischen Akzent.
    »Ich … Äh, ich wollte sagen, Sophia Kollin. Ich bin die Enkelin des Uhrmachers Ole Kollin und Großnichte seiner Schwester Lotta. Ich nehme an, Sie kennen meine Tante. Der Junge neben mir heißt Theophilos. Möglicherweise haben Sie seinen Namen ja auch schon von ihr gehört.«
    In der Wohnung wurde es still. Nur ganz leise war das tiefe, kräftige Ticken einer Standuhr zu hören. Das Auge schien nachzudenken.
    »Mein liebes Mädchen«, sagte es schließlich, diesmal auf Hochdeutsch. »Ich will dich nicht brüskieren, aber so ein bestandener Mann wie ich kann nicht vorsichtig genug sein. Wenn ich jedem öffnen würde, der an meiner Tür klingelt, dann besäße ich jetzt schon ein Dutzend dreißigbändige Lexika, hundert moosgrüne Staubsauger und hätte mein ganzes Geld für die Armen dieser Welt gespendet.«
    Etwas in der Art hatte Sophia befürchtet. »Warten Sie, Herr Dei Rossi, nicht weggehen! Ich will Ihnen etwas zeigen.« Sophia schaltete die Beleuchtung des Treppenhauses ein, trat schnell hinter Theo, zog den Reißverschluss des Rucksacks auf, holte das blaue Fabergé-Ei heraus und hielt es vor das Guckloch in der Wohnungstür.
    »Potz Blitz!«, scholl es durch die Tür. »Das Zwielicht-Ei von Fabergé. Sieht nach einer guten Fälschung aus. Aber ich kaufe trotzdem nichts.«
    Sophia musste schmunzeln. »Dieses Fabergé-Ei wurde nie öffentlich ausgestellt. Komisch, dass Sie es dennoch erkennen.«
    »Du bist ja eine ganz Schlaue«, sagte das Auge spöttisch. »Carl Peter Fabergé hat von allen seinen Objekten Zeichnungen gemacht. Daher kenne ich das Zwielicht- oder Nacht-Ei .«
    Der Alte war schwerer zu überzeugen, als sie gedacht hatte. Sophia zog ihre letzte Trumpfkarte. Sie öffnete vor dem Guckloch die blaue Kapsel von Fabergé und zog das Nürnberger Ei hervor. »Davon haben Sie aber bestimmt keine Zeichnung gesehen. Es sei denn, meine Tante hat sie Ihnen gezeigt. Glauben Sie mir jetzt, dass ich Sophia Kollin …«
    Weiter kam sie nicht, weil die Tür aufflog und sich das Auge in einen grauhaarigen Greis verwandelte, kleiner als Sophia und fast ebenso zierlich. Für seine mehr als neunzig Jahre wirkte er erstaunlich vital. Sein schmales Gesicht war noch nicht eingefallen, die Tränensäcke kaum erwähnenswert und seine Zähne hatte er auch im Mund. »Wo hast du das her?«, fragte er.
    »Geerbt. Von meinem Opa Ole Kollin. Er wurde ermordet. Ich nehme an, wegen diesem Nürnberger Ei.«
    Der Alte trat aus seiner Wohnung heraus, blickte erst zwischen den Treppengeländern nach unten, dann die Stufen zu den oberen Stockwerken hinauf und raunte schließlich: »Ich glaube, es ist besser, wenn ihr reinkommt. Schnell!«
    Nico dei Rossi führte seine jungen Gäste durch einen Flur, der mit Perserläufern ausgelegt war. Es roch nach getrockneten Rosenblättern. Unter der hohen Decke hing eine Kristalllampe. Rechts reihten sich die Zimmer, die zur Straße hinausblickten, links entdeckte Sophia zwischen zwei Türen die große Standuhr, deren gemächliches Ticken ihr schon vorher aufgefallen war. Das ziselierte Ziffernblatt bestand aus Messing und Emaille. In dem mit hübschen Schnitzereien verzierten Uhrenkasten konnte man durch kristallene Scheiben das Pendel sehen.
    »Das ist Victoria, meine bella donna «, erklärte Nico beim Vorbeischlurfen an der »schönen Dame«.
    Sophia fand es etwas eigenartig, einer Uhr einen Namen zu geben. Der Alte schien durchaus kauzig zu sein. Seine körperliche Verfassung war dem Augenschein nach erstaunlich gut. Erzitterte nicht, hatte keinen Buckel, keinen Kahlkopf, nur die üblichen Altersflecken an den Händen und im Gesicht sowie die obligatorischen Haarbüschel, die so vielen alten Leuten aus Ohren und Nase wuchsen. Seine in Filzpantoffeln steckenden Füße bekam er zwar nicht mehr so gut vom Boden hoch, aber ansonsten wirkte er quietschfidel. Sophia begann zu verstehen, warum man diesem betagten Mann noch den Auftrag zum Bau des Antikythera-Mechanismus anvertraut hatte.
    Das Zuhause des ehemaligen Italieners erinnerte sie in manchem an die Wohnung von Opa Ole: Die Möbel waren alt, teilweise wohl sogar kostbare Antiquitäten und überall gab es Uhren. Nur tickten sie hier noch und das beruhigte Sophia ungemein.
    Unvermittelt öffnete sich links eine Tür. Eine

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