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Der verbotene Schlüssel

Titel: Der verbotene Schlüssel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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wegen dem ich eigentlich den Antikythera-Mechanismus baue. Theo sitzt hier neben mir.«

24
    N ormale Menschen gelangten bei der Überquerung der Kapellbrücke nur in den alten Teil Luzerns, Sophia hoffte, auf der überdachten Passerelle auch in den geheimen Teil ihrer Familiengeschichte vorzudringen. Im schlimmsten Fall war sie auf dem Holzweg – hier auf der ältesten gedeckten Holzbrücke der Welt und in der Altstadt drüben beim ersten Zusammentreffen mit ihrer Großtante Lotta.
    Sophias Erwartungen waren so groß, weil sie nur eine stark zensierte Version der Familienchronik kannte. Ganze Kapitel daraus sowie bestimmte Teile der Verwandtschaft waren von ihrem Vater auf den Index gesetzt worden. Auf der Roten Liste stand nicht nur Opa Ole, sondern auch dessen Schwester. Selbst vom Ururgroßvater Erik August Kollin, dem Werkmeister und ersten Goldschmied des berühmten Russen Carl Peter Fabergé, hatte sie, wie ihr inzwischen klar war, nur ein sehr lückenhaftes Bild vermittelt bekommen. Erst seit gestern kam sie der kommunikativen Verstopfung auf den Grund. Das Ei war an allem schuld.
    Nico dei Rossi hatte die zwei Jugendlichen in die Furrengasse 15 geschickt. Das Haus, in dem sich der Laden von Lotta Kollin alias Karla Sprüngli befinde, liege zwischen Kapellplatz und Rathaus, lautete seine Beschreibung. Sophia bemerkte, dass Theo sich in der fast nur von Fußgängern frequentierten Altstadt erheblich wohler fühlte als in dem Verkehrsgetümmel der neuen Geschäfts- und Wohnquartiere. Vom Ausgang der Passerelle liefen sie links an der Kapelle St. Peter vorbei in die schmale, ordentlich gepflasterte Furrengasse.
    Das Haus Nummer 15 war ein grün verputztes Gebäude. Auf einem Wappen über der Haustür stand die Jahreszahl 1555. Rechts neben dem Eingang befand sich ein Schaufenster. Das Geschäft dahinter war ziemlich schmal, ziemlich lang und ziemlich unübersichtlich. Man sah gewissermaßen den Laden vor Antiquitäten nicht. Im letzten, schon recht schattigen Drittel fiel Sophia eine spanische Wand aus rotbraunem Rattan auf. Möglicherweise hatte sich Tante Lotta hinter dem Paravent versteckt, um nicht ständig den Blicken der Passanten ausgesetzt zu sein.
    »Wie es scheint, sammelt sie lieber, als dass sie verkauft«, stellte Theo fest. Er hatte inzwischen die glitzernde Vielfalt im Schaufenster bestaunt.
    Sie allein verriet schon, dass es ein durchaus spezieller Laden war. Hier fand man nicht die sparsame Dekoration der modernen Juwelier- oder Dekogeschäfte, die ihre Stücke in edlem Ambiente mit viel freiem Raum drum herum und wissenschaftlich ausgeklügelter Lichttechnik präsentierten. Vielmehr glich die Auslage einer Art Suchbild, das man eine Stunde lang ansehen und in dem man dann immer noch etwas Neues entdecken konnte. Wie Nico dei Rossi bereits angekündigt hatte, war der Laden unübersehbar auf mechanische Geräte, Instrumente und vor allem auf alte Uhren spezialisiert. An der Scheibe der Eingangstür rechts neben dem Schaufenster hing ein Schild.
    Vorübergehend geschlossen
    »Fängt ja gut an«, murmelte Sophia und klopfte trotzdem an. Das Glas in der Tür schepperte.
    Drinnen rührte sich nichts. Wegen des starken Fußgängerverkehrs war es auch zu laut, um eventuelle Geräusche aus dem Laden zu hören.
    »Versuch es noch mal«, schlug Theo vor. »Vielleicht ist deine Muhme schwerhörig.«
    Sophia machte sich beharrlicher und vernehmlicher bemerkbar.
    Über dem Paravent erschien ein bebrilltes Gesicht. Es war eindeutig weiblich, etwas faltig und vonfeuerrotem Haar umrahmt. Unwillig sah es aus, als fühle es sich gestört. Beim Anblick der beiden Jugendlichen milderte sich dieser Ausdruck etwas ab.
    Das Gesicht sank wieder hinter die spanische Wand herab und etwa zwei Sekunden später erschien die dazugehörige Person. Persönchen wäre vielleicht das treffendere Wort, denn sie war so zierlich wie alle Kollins und trotz ihrer verhaltenen Bewegungen irgendwie frettchenhaft. Ihr Gang hatte etwas Lauerndes, die Körperhaltung etwas Wachsames, während sie der Ladentür entgegenstrebte. Beim geringsten Geräusch, so konnte man meinen, würde sie in irgendeinen dunklen Winkel flitzen.
    Die Frau war augenscheinlich jünger als ihr verstorbener Bruder. Sie trug weite Hosen aus schieferfarbenem Stoff, darüber eine schmal geschnittene dunkelblaue Bluse und darüber eine fast bis zu den Knien reichende schwarze Strickjacke mit ausgebeulten Außentaschen. Ihre dickrandige eckige Brille mochte 1960 modern

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