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Der verbotene Schlüssel

Titel: Der verbotene Schlüssel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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verließ, begann der Boden zu vibrieren.
    »Ein Erdbeben?«, keuchte ich entsetzt. Das Zittern unter meinen Füßen ließ mir sämtliche Haare zu Berge stehen. Nur zu gut erinnerte ich mich an die furchtbaren Naturkatastrophen, die allein der Gedanke an das Buch der Zeit ausgelöst hatte. Und nun war daraus das Weltenei entstanden. Kündigte sich jetzt ein noch viel größeres Unglück für die Menschen an? Ich hörte ein Geräusch wie ein fernes Donnergrollen, das schnell lauter wurde.
    Lykos zog den Kopf aus den wogenden Halmen zurück und wandte sich zu mir um. »Nein, kein Erdbeben. Das sind die Dreifach Gehörnten Automanten. Lauf!«
    Starr vor Schreck, sah ich ihn nach links trotten. Als er merkte, dass ich wie angewachsen unter dem Baum stand, bellte er: »Wenn du hier nicht ins Gras beißen willst, dann häng dich an mich dran.« Dann lief er davon.
    »Warte! Ich komme mit«, rief ich und rannte dem Wolf hinterher.
    Das Metallgras reichte mir jetzt bis über den Kopf und peitschte ständig mein Gesicht. Ich keuchte wie ein Schwindsüchtiger. Meine Beine wurden mit jedem Schritt schwerer. Trotzdem hastete ich weiter. Das immer lauter werdende Donnern im Rücken ließ mir keine andere Wahl. Von Lykos war ohnehin nichts mehr auszumachen – abgesehen von der Spur aus umgeknickten Halmen.
    An einer Stelle, wo sie etwas niedriger standen, drehte ich mich um und sprang in die Höhe. Ich erhaschte einen Blick auf irgendetwas Blitzendes, Gewaltiges. Vor Schreck geriet ich ins Stolpern und fiel fast hin. Hatten da Hörner aus dem Gras herausgeragt? Lykos’ Warnung hallte durch meinen Geist. Das sind die Dreifach Gehörnten Automanten. Lauf! Ich biss die Zähne zusammen und hetzte weiter.
    Die Steppe endete jäh und vor mir breitete sich eine bizarre, kahle Landschaft aus Felsen aus. Eisensteine, wie ich annahm – der Geruch und der Klang, den meine Sohlen machten, legten diese Vermutung nahe. In dem flachen Gelände entdeckte ich den Wolf.
    Lykos lief etwa einen Speerwurf entfernt über die von Rissen durchzogene Ebene. Als spüre er mich, den Beobachter, blieb er stehen und drehte sich nach mir um. Seine goldgelben Augen schienen im Zwielicht zu leuchten. Nach einer kurzen Berührung unserer Blicke wandte er sich um und trottete weiter.
    Im Gegensatz zu ihm hatte ich nicht innegehalten. Zwar zog mir das Gras jetzt keine Striemen mehr ins Gesicht, dafür musste ich höllisch Obacht geben, nicht in eine der Spalten zu treten. Mit einem gebrochenen Bein ließ sich nicht gut laufen. Ich bekam Seitenstechen und japste wie ein überladener Esel. Im Vergleich zu mir bewegte sich Lykos geradezu gemächlich über das felsige Terrain. Der Wolf schien zu warten, damit ich zu ihm aufschließen konnte. Als sich die Distanz zwischen uns bis auf wenige Schritte verringert hatte, brach plötzlich aus dem Gras hinter uns eine mekanische Naturgewalt hervor.
    Erschrocken fuhr ich herum. Das Getöse versetzte mir einen lähmenden Schrecken, was ich sah, raubte mir den Atem. Keuchend blieb ich stehen.
    Eine riesige Herde sechsgliedriger Wesen stürmte auf mich zu. Der von Lykos erwähnte Name beschrieb ihr Ehrfurcht einflößendes Äußeres nur unzureichend. Neben den drei Hörnern – zwei auf dem mähnigen Haupt, eins auf dem Rücken – überraschte mich vor allem ihre braungrüne, geschuppte Gestalt. Es waren Zentauren. Allerdings wuchs ihr menschlicher Oberkörper nicht aus dem Leib gewöhnlicher Pferde, sondern aus dem von Rhinozerossen. Zugleich meinte ich, in ihrer Statur die kraftvolle Eleganz von Stieren zu erkennen. Was ihre Erscheinung für mich besonders furchteinflößend machte, waren ihre leeren Augenhöhlen.
    Die Fabelwesen kamen rasch näher. Sie bewegten sich mit derselben mechanischen Gleichförmigkeit wie zuvor das Gras. Während sie über die Ebene donnerten, schlug der Fels unter ihren Hufen Funken, und eine Staubwolke aus Eisenspänen wirbelte auf. Sie zermalmten alles, was sich ihnen in den Weg stellte. Ungeachtet dessen hätte ich den schrecklich faszinierenden Anblick der auf mich zurasenden Herde wohl bis zum bitteren Ende bestaunt, wenn nicht überraschend die knurrige Stimme von Lykos in mein Bewusstsein vorgedrungen wäre.
    »Du bist ja schlimmer als ein Welpe. Sofern du nicht im Tal der Gebeine verrotten willst, lauf endlich! «
    Obwohl ich keine Ahnung hatte, was er damit meinte, reagierte ich mustergültig. Ich wandte mich dem Wolf zu und rief: »Sie sind zu schnell, um ihnen zu entkommen. Wo

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