Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der verbotene Schlüssel

Titel: Der verbotene Schlüssel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
können wir uns verstecken?«
    »Wenn das Menschenkind die Freundlichkeit besäße, seinen Blick von meinen schönen Augen loszureißen und etwas weiter anzuheben …«
    Ich stürmte los, ehe Lykos seine vor Spott triefende Antwort beenden konnte. Dreißig, höchstens vierzig Schritte weiter hatte ich entdeckt, worauf er mich aufmerksam machen wollte: eine Spalte im Fels. Sie war schmal genug für die Automanten, um darüber hinwegzusetzen, aber augenscheinlich breit genug, um uns Schutz zu bieten.
    Der Wolf schloss sich mir an. Als gäbe es keine hinter uns hertobende Herde, rief er: »Wenn du so weitermachst, bist du zwölfmal tot, ehe du den König von Mekanis findest.«
    Ich hörte einfach nicht auf ihn. Das Donnern in meinem Rücken war viel zu beängstigend, um sich mit Fragen der Lebenserwartung zu beschäftigen. Als ich mich umwandte, knickten mir vor Schreck fast die Beine weg. Die vordersten Automanten waren schon ganz nahe. Ihre augenlosen Gesichter ließen nicht einmal erahnen, ob sie Lykos und mich überhaupt wahrnahmen. Sie stürmten mit unvermindertem Tempo weiter.
    »Runter mit dir!«
    Der Ruf erreichte mein Bewusstsein fast zu spät. Ich drehte den Kopf wieder nach vorn, sah vor mir die dunkle Spalte und hätte reflexhaft beinahe einen Satz darüber hinweg gemacht. Im letzten Moment besann ich mich eines Besseren und sprang hinunter.
    Hart schlug ich unten auf, rollte mich mehr schlecht als recht am Boden ab und blieb vor den Vorderpfoten des Wolfs liegen. Lykos schien zu grinsen.
    Ehe einer von uns etwas sagen konnte, wurde es stockfinster, und ein gewaltiges Getöse brach wie eine Flutwelle über uns herein. Ab und zu erhellten Funken die Dunkelheit. Eisenstaub senkte sich auf uns herab. Ich hielt mir die Ohren zu, um von dem Lärm nicht taub zu werden oder den Verstand zu verlieren. Nach einer Weile begann ich, die Folgen des Sturzes zu spüren: Meine Fußsohlen fühlten sich an, als habe ein Schinder mit dem Stock draufgeschlagen. Ich bekam einen Hustenanfall.
    Es hatte den Anschein, als wolle der Strom von Tieren nie mehr abreißen. Damit wuchs, wie ich wusste, eine andere Gefahr. Meister Taqi hatte mir einmal erzählt, dass Staub explodieren könne. Besorgt blickte ich nach oben. Wenn das Luft-Eisen-Gemisch im Spalt die richtige Dichte erreichte, würde ein einziger Funken genügen, um hier alles in ein Flammenmeer zu verwandeln.
    Über mir leuchtete eine Kette von Lichtblitzen auf.
    Ich kniff die Augen zu. Das war’s! In Gedanken bereitete ich mich auf das Inferno vor.
    Stattdessen schwoll das Donnern überraschend ab, so als zöge ein Gewitter eilig weiter.
    »Du kannst die Augen wieder aufmachen«, ließ Lykos mich wissen. »Sie sind weg.«
    »Und die Blitze?«, erkundigte ich mich, ohne seiner Empfehlung nachzukommen.
    »Welche Blitze? So etwas gibt es hier nicht.«
    Ich öffnete zunächst nur ein Auge, so als sei dies im Falle einer Explosion sicherer. Der Wolf hockte vor mir und hechelte. Mein Blick wanderte an ihm vorbei durch den Spalt. Die Funken waren erloschen. Der Staub senkte sich allmählich. Ich selbst sah aus wie in Asche gewälzt. Ächzend erhob ich mich. »Danke, Lykos.«
    »Keine Ursache.« Er sah mir interessiert dabei zu, wie ich mir den Eisenstaub aus den Kleidern klopfte.
    »War ziemlich knapp, oder?«
    »Nicht für einen, der sich hier auskennt. Von dir lässt sich das nicht gerade behaupten. Wie es aussieht, kann man dich nicht allein lassen …« Lykos spitzte die Ohren. »Hörst du das?«
    Ja. Und ich vernahm es mit Schrecken. Mit jeder Faser meines Körpers spürte ich es. Es war der gleiche sphärische Klang, den ich zuvor in der Werkstatt von Meister Hans wahrgenommen hatte. Und danach war etwas Furchtbares geschehen. Dem Anschein nach durchdrangen die Harmonien diesmal die ganze Welt. »Was ist das?«
    »Die Sphärenmusik«, antwortete Lykos gleichmütig.
    Also nennt man sie in Mekanis genauso, dachte ich. Die musica mundana  – die »Weltenmusik« – der Pythagoreer war mir seit tausendsechshundert Jahren ein Begriff. Hier schien sie völlig normal zu sein, so gelassen wie der Wolf blieb. Es drohte vermutlich keine akute Gefahr. Ich beruhigte mich. »Kommt sie von den sieben Halbkugeln?«
    »Was sie erzeugt, weiß wohl nur der Herrscher der Zeit. Vielleicht kommen die Töne auch aus der Zeitwäscherei des Oros.«
    Ich stutzte. »Zeitwäscherei? Seit wann kann man Zeit waschen? «
    »Das musst du den König fragen. Er würde am liebsten alles aus dem Strom

Weitere Kostenlose Bücher