Der verbotene Schlüssel
der Zeit heraussieben, das er für schädlich hält. Besonders solche Ereignisse, die ihn und seine wahren Absichten erkennen lassen. Er zieht es vor, im Hintergrund zu bleiben.«
»Und wenn diese angeblich schädlichen Minuten für jemand anderen die guten sind?«
»Oros ist der Herrscher der Zeit. Allein sein Wille ist entscheidend.«
»Diese Zeitwäscherei – ist das seine Residenz?«
»Nein. Nur ein ziemlich großer Verwaltungsbau, in dem Maschinenwesen sämtliche Abläufe von Mekanis steuern und kontrollieren. Der König wohnt nicht weit davon an einem unsichtbaren Ort.«
»Heißt der zufällig Palast der Sieben Sphären? «
»Das kann ich dir nicht sagen, Theo. Ich war bis vor Kurzem nur ein geistloser Apparat. So jemand begibt sich automatisch niemals dahin, wo er nichts zu suchen hat. Ich weiß nur, dass Oros über eine geräumige Zimmerflucht in der Zeitwäscherei verfügt. Er wird von Dreifach Gehörnten Automanten und weitaus schrecklicheren Geschöpfen bewacht, mit denen du bestimmt keine Bekanntschaft machen möchtest.«
»Wenn ich Meister Poseidonios finden und uns hier herausbringen will, bleibt mir kaum etwas anderes …« Mir stockte der Atem, weil ich spürte, wie sich die Natur um mich herum verlangsamte. Eine beängstigende Zähigkeit kroch in meinen Körper. Das konnte nur eines bedeuten.
Mekanis blieb stehen.
Würde ich weitere Jahrhunderte gefangen sein wie ein Insekt im Harz eines Baumes? Panik überschwemmte meinen Geist. Unwillkürlich griff meine Rechte nach unten zu dem Gürtelbeutel, um mich an dem Uhr-Ei festzuhalten. Doch ich fand es nicht.
Der Beutel war leer.
26
D er Wolf reckte den Hals und deutete mit der Schnauze zu einer Erhebung im Staub. »Vermisst du vielleicht das da?«
Ich war noch ganz benommen, zum einen von dem Schrecken über den Verlust des Welteneies und zum anderen, weil die Starre, kaum dass sie mich gelähmt hatte, schon wieder von mir abgefallen war. Mein Blick begab sich auf die Suche nach der von Lykos angezeigten Stelle. Mit einem Mal stutzte ich.
In dem schwarzgrauen pulverigen Belag am Boden war ein Muster aus rechteckig verschränkten Linien zu erkennen. Ein Mäanderband, wie ich es vom Straßenpflaster in Rhodos kannte. Es überraschte mich, dieses Symbol für die sich ewig erneuernde Energie des Kosmos ausgerechnet im Dreck von Mekanis zu finden. Und noch mehr erstaunte mich die »Zeichnerin«. Es war eine mechanische Assel, die mit ihren sieben Beinpaaren das Ornament ins Eisenpulver pflügte.
Als die Irritation darüber abgeebbt war, entdeckte ich endlich die unscheinbare Beule im Staub. Wäre ich von Lykos nicht mit der Nase darauf gestoßen worden, hätte ich sie wohl nur für einen Stein gehalten. Gleichzeitig mit dem grauen Jäger traf ich bei der Stelle ein. Die Schnauze des Wolfs senkte sich interessiert.
»Pfoten weg«, sagte ich, bückte mich rasch und legte meine Hand auf den Gegenstand.
»Ich wollte nur den Staub für dich wegpusten«, behauptete er verschnupft.
»Danke, aber das kann ich selbst.« Zu meiner übergroßen Beruhigung war es tatsächlich das Uhr-Ei. Ich blies das feine Eisenpulver herunter. Zum Glück war Messing nicht magnetisch, sonst hätte der Belag womöglich fester daran gehaftet. Nach ausgiebigem Pusten und Wischen – dazu öffnete ich auch die Deckel – war das kleine Wunderwerk wieder so gut wie neu.
Als ich mit Blicken durch das kristallene Ziffernblatt ins Innere des Werks vordrang, schlich sich eine, wie ich fand, kindische Frage in mein Bewusstsein: Bin am Himmel jetzt ich zu sehen? Ich wandte die Augen unwillkürlich nach oben und staunte.
Am Firmament leuchteten der Mond und ein funkelndes Sternenmeer. Die Werkstatt von Meister Hans war verschwunden. »Was ist da gerade passiert?«, flüsterte ich.
»Mekanis ist geschlüpft«, sagte Lykos feierlich.
»Geschlüpft?«, erklang das Echo aus meinem Mund. Verwundert sah ich die Uhr an. »Du meinst, wie ein Küken aus dem Ei?«
»Hier werden Küken in Manufakturen hergestellt. Von Maschinen.«
Ich begann zu ahnen, was da geschehen war. Die Welten hatten sich umgestülpt: Mekanis befand sich nun außen und alle Reiche der Menschen waren in der Uhr verschwunden. Vermutlich sahen die Meister Hans, Taqi und Giovanni jetzt mein Gesicht.
Wie nur hatte ich ihr filigranes Räderwerk in Händen halten und zugleich hinein geraten können? Handelte es sich lediglich um eine winzige Kopie des echten Welteneies? Oder war bei der Vermengung der Naturgesetze
Weitere Kostenlose Bücher