Der verbotene Schlüssel
Schneller!«
»Du hast ja keine Ahnung«, rief der Wolf. »Falls sie dich mit ihren Hinterteilen erwischen, bist du Mus.«
Unsere Flucht hatte eine Reihe absehbarer Folgen: Die zweiunddreißig Automanten in der Schneise waren stehen geblieben und machten soeben kehrt. Ihre Kameraden nahmen vom Wald aus die Verfolgung auf. Sie stampften Facettenfarne nieder, zermalmten Zangenkäfer und brachen Zinnenäste.
Ich erreichte den äußeren Rand der Blume, als ihre ehernen Ruten gerade aufgerichtet waren. Ohne die Geschwindigkeit zu verringern, lief ich mitten in sie hinein.
»Das nimmt kein gutes Ende«, ächzte hinter mir Nullus.
»Vertraut mir. Bleibt nicht stehen!«, rief ich über die Schulter.
Und das taten sie dann auch. Mit wachsendem Unbehagen. Denn die Rohre befanden sich bereits im geräuschvollen Abwärtsschwung. Sie bogen sich und senkten sich und verringerten dadurch immer mehr den Abstand zueinander. Ungeachtet der Gefahr folgten uns die Automanten in das kratzende und quietschende Rutenfeld. Und sie holten rasch auf.
Kurz darauf hatten sich die Halme so stark geneigt, dass zwischen ihnen kaum ein Durchkommen war. Der Wolf kam mit der zunehmenden Enge noch am besten klar. Ich würde bald schief laufen müssen. Und Nullus, der sich stets mit weit rudernden Armen fortbewegte, eckte in den schrägen Durchlässen ständig an, wiewohl er seinen Oberkörper bereits zur Seite neigte. Ganz zu schweigen von den mächtigen Automanten, die in wachsender Zahl stecken blieben.
Zum Kratzen und Quietschen der rostigen Rohre kam ein fürchterliches Knirschen hinzu, als die ersten Verfolger langsam zermalmt wurden. Andere hatten schon fast zu uns aufgeschlossen, allen voran ein besonders großes Exemplar, das wie ein Berserker zwischen den Ruten hindurchpflügte.
»Theo! Nullus droht das gleiche Schicksal, wenn du nicht sofort etwas tust!«, hechelte Lykos.
»Wir haben die Automanten noch nicht abgeschüttelt.«
»Sollen wir zerquetscht werden?«
Er hatte recht. Es war höchste Zeit einzugreifen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ich breitete die Arme aus.
Von nun an ging ich der Berührung mit den gelenkigen Rohren nicht länger aus dem Weg, ich suchte sie. Und die Wirkung blieb nicht aus. Die belebten ehernen Ruten nahmen die sattgrüne Farbe von Bambus an. Zugleich ließen sie sich nicht mehr vom mechanischen Takt des gemeinsamen Auf und Ab bewegen, sondern vom Wind, der Schwerkraft und den Eigenheiten, die jedes Individuum zu etwas Einzigartigem machte. Während ich meine Freunde sicher durch die entstehenden Lücken lotste, knirschte und krachte es im ganzen Samenstand. Die Blume der Ehernen Ruten geriet außer Rand und Band. Rohre zerbarsten, Einzelteile flogen umher, Automanten wurden durchbohrt, zerdrückt oder eingekeilt.
Als ich mich einmal mehr zu meinen Gefährten umwandte, waren alle Verfolger verschwunden. Bis auf den einen, den großen, der den Ruten am längsten getrotzt hatte. Jetzt hing er in ihnen fest, das zottige Haupt verdreht, die Kopfhörner unentwirrbar zwischen den Stangen eingeklemmt. Mit der eintönigen Beharrlichkeit einer Figur, die auf einer Spieluhr einen seltsamen Tanz aufführt, versuchte er, sich wieder und wieder zu befreien. Dadurch brachte er sich in noch größere Gefahr, denn die Spannung der gegeneinanderdrückenden Rohre war so stark, dass sie sich jeden Moment lösen und ihn zerschmettern konnten.
Ich kehrte um.
»Was hast du vor?«, japste Lykos.
»Er wird ihn anfassen, genauso wie uns«, sagte Nullus.
Und so war es. Ich legte meine Rechte zwischen die Stierhörner auf das eingeklemmte Automantenhaupt. Die schwarzen Drahtzotteln unter meiner Hand wurden weicher. Als sie sich wie Rosshaar anfühlten, beruhigte sich das Fabelwesen. In seinem wohlgeformten Menschengesicht erschienen Wimpern und Lider. Zum ersten Mal seit seiner Fertigstellung konnte das Wesen die Augen öffnen.
»Wie heißt du?«, fragte der sechsgliedrige Gardist. Seine Stimme tönte so voll wie der Klang einer Posaune und war zugleich von einer ehrfürchtigen Sanftheit erfüllt.
»Mein Name ist Theo. Und deiner?«
»Ich bin Thaurin, Kommandant in der königlichen Leibgarde.«
»Hattest du den Auftrag, uns umzubringen, Thaurin?«
Sein Blick wanderte zu Lykos und Nullus, ehe er antwortete: »Man kann Maschinen nur zerstören, aber nicht töten, Menschenkind. Das sollte ich mit jedem tun, der mich an der Ausführung meines Befehls hindert. Dich hingegen, den Lebenden, wie mir gesagt wurde, habe ich zu
Weitere Kostenlose Bücher