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Der verbotene Schlüssel

Titel: Der verbotene Schlüssel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Gabe wenigstens: Sie half mir, meinen Hunger zu stillen. Ich brauchte einen Strauch mit Stahlblaubeeren nur zu berühren und schon wurden die Früchte genießbar.
    Ein fernes Krachen ließ mich herumfahren. »Was war das, Lykos?« Einen neuen Angriff der Gliederpuppen oder womöglich der Dreifach Gehörnten Automanten würden meine angegriffenen Nerven nicht ertragen.
    »Besser, wir verstecken uns in den Facettenfarnen«, schlug er ruhig vor. Anscheinend konnte diesen Wolf nichts aus der Fassung bringen. Er lief zu einer Stelle, wo die Farnwedel besonders hoch und dicht standen.
    Während ich ihm hinterherrannte, erklang abermals das Krachen, diesmal lauter als zuvor. Mich grauste vor dem, was sich da näherte. Es musste gewaltig sein. Ich war heilfroh, in den Farnen neben Lykos untertauchen zu können.
    Seite an Seite hielten wir Ausschau nach dem krachenden Etwas. Dabei bemerkte ich beiläufig, dass die aus Metallfacetten bestehenden Verästelungen an einem Farnblatt sich bis in scheinbar endlose Winzigkeit immer wieder selbst kopierten. So entfaltete sich eine einzige Grundform zu einer weit ausladenden Pflanze. Wenn ganz Mekanis nach diesem Prinzip aufgebaut war, genügte vielleicht wirklich ein vergleichsweise kleines Räderwerk, um daraus eine riesige Welt zu erschaffen …
    Mein Gedankenstrom stockte, als abermals das Krachen erscholl. Die Quelle des Geräuschs kam näher. Mein Puls raste. Ich wappnete mich bereits für den nächsten Kampf gegen Geschöpfe, die womöglich noch gefährlicher waren als die Dreifach Gehörnten Automanten. Und dann sah ich den Verursacher des Lärms. Mir rutschte fast das Herz in die Hose.
    Es war ein großer automatischer Mann ohne Haupt.
    »Warum ist er nicht kaputt?«, flüsterte ich.
    »Das ist ein Ohnekopf «, erwiderte Lykos gleichmütig. »Die sind blind und nehmen ihre Umgebung tastend wahr.«
    »Tastend?«, wiederholte ich und beobachtete ungläubig den Ohnekopf, der gerade erneut gegen einen Baum krachte. Er veränderte die Richtung und lief mit übertrieben ausholenden Armbewegungen bis zur nächsten Zinne weiter. Die entsprechend ausgerichteten Äste markierten seinen Weg.
    »Normalerweise leben sie im Freiland.«
    »Da wäre ich jetzt nicht draufgekommen.«
    »Sie nehmen feinste Unterschiede zwischen Warm und Kalt wahr. Oder auch geringste Erschütterungen. Außerdem haben sie ein respektables Hörvermögen. Es ist so empfindlich, dass sie Töne spüren können. Diese Sinne helfen ihnen dabei, möglichst wenig anzuecken. Komm, Theo. Ich schätze, er stellt keine Gefahr für uns dar.«
    Der graue Jäger trat aus den Facettenfarnen hervor und trabte zu dem Ohnekopf, der soeben im Begriff stand, einen weiteren Baum zu rammen.
    »Halt!«
    Der Angesprochene blieb kurz vor der Zinne stehen und wandte sich mit metallischem Ächzen um.
    »Ich bin Lykos, der Zermalmer«, sagte der Wolf. »Und wie ist dein Name, du kopfloser Riese?«
    »Nullus«, antwortete der Gefragte. Weil ihm ein Mund fehlte, der ihm eine Konversation in der gängigen Form ermöglicht hätte, legte er zum Sprechen seine linke Hand unter die rechte Achsel und bewegte den Arm auf und ab. Die dabei entstehenden Quietschlaute waren hinreichend gut zu verstehen.
    Ich hatte mich inzwischen an die Seite des Wolfs vorgewagt und beobachtete diesen Vorgang mit gebührendem Staunen. Selbst ohne Kopf überragte mich der Ohnekopf um mindestens zwei Köpfe. Sein mächtiger Brustkopf erinnerte an einen Badezuber, die Arme glichen kräftigen Streben, die ein ganzes Hausdach tragen konnten, und die Beine waren Säulen aus Stahl.
    »Wie bist du in den Wald geraten?«, erkundigte sich Lykos bei dem Hauptlosen.
    »Eine Gliederpuppe hat mich umgestoßen«, quietschte Nullus. »Dabei muss etwas in meiner Mechanik durcheinandergekommen sein und ich habe die Orientierung verloren.«
    Obwohl der Ohnekopf nur eine Maschine war, tat er mir leid. Ich wollte ihm helfen. Spontan trat ich an ihn heran und berührte seine mächtige Stahlhand.
    Einen Moment lang wirkte Nullus wie erstarrt. Plötzlich begannen sich auf seinem tonnenförmigen Torso, dort wo bei Männern die Brustwarzen sind, große blaue Augen zu bilden. Sogar die dazugehörigen Lider formten sich, nur Wimpern wuchsen ihm nicht. Als die Veränderung abgeschlossen war, sah er mich überrascht an. Seine Hand legte sich unter die Achsel, und er quietschte: »Du hast mich beseelt. Wer bist du?«
    »Theo«, antwortete ich scheu, weil mir der vorwurfsvolle Unterton in der

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