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Der verbotene Schlüssel

Titel: Der verbotene Schlüssel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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nicht tickt. Es ist die einzige Uhr in meinen vier Wänden, der ich erlaube, mucksmäuschenstill zu bleiben. Sollte aber die Stimme einer anderen verstummen, dann schlägst du Alarm.«
    Sophia konnte Theo an der zuckenden Nasenspitze ansehen, welche diebische Freude er dabei empfand, dem Doctor Mechanicae die Einzelheiten des Antikythera-Mechanismus zu erklären. Sie standen am Arbeitstisch des alten Uhrmachers. Er hatte sich in der Wohnung für seine Leidenschaft eigens ein Werkstattzimmer eingerichtet. Es war hell und ruhig – sah man von der Musik ab, wie Nico dei Rossi das konzertante Tick-tick-tick seiner kleinen Lieblinge nannte. Durch das Fenster sah man eine Birke im Hof, die frisches Frühlingsgrün zeigte.
    Der Alte staunte. »Ich habe Wochen dafür gebraucht, das auszutüfteln.«
    »Ohne mich wärst du nicht so weit gekommen«, sagte Lotta, die auch dabeistand.
    »Ja, ja«, erwiderte Nico. »Niemand spricht dir deine Verdienste ab, Lotta. Die Frage ist doch, ob Theos Vermutung richtig ist und der Antikythera-Mechanismus den Schlüssel zu den fehlenden Teilen der Weltenuhr liefert.«
    »Und?«, fragte Sophia ungeduldig. »Was halten Sie von der Idee?«
    Nico überzog sein Gesicht mit einem Ausdruck entrückter Glückseligkeit. »Ich war so frei, heute früh, während ihr noch geschlafen habt, das Nürnberger Ei ganz genau unter die Lupe zu nehmen. Eriks Rekonstruktion ist nicht schlecht, aber er hat ein paar falsche Schlussfolgerungen gezogen. Ohne den Mechanismus von Antikythera wäre es selbst mir nicht gelungen, die Weltenformel wiederherzustellen. Ich …«
    »Er kann«, fiel ihm Lotta grinsend ins Wort, »nämlich Tote auferwecken – in rein mechanischer Hinsicht, versteht sich. Nico ist so eine Art Doctor Doolittle für Maschinen.«
    »Das hat Laura ihnen schon gesagt und es ist völlig unerheblich, meine Liebe. Würdest du mich bitte nicht stören, wenn es nicht wirklich wichtig ist?«
    Theo zeigte auf das halb zusammengesetzte Räderwerk auf dem Tisch. »Wie lange brauchen Sie, um diesen Mechanismus auf die Uhr zu übertragen und einen neuen Schlüssel anzufertigen, Meister Nico?«
    Der Gefragte neigte den Kopf erst nach links, dann nach rechts, verdrehte versonnen die Augen und antwortete schließlich: »Etwa einen Monat.«
    Sophia meinte, ihr würden die Beine wegknicken. »So lange? Das heißt, vier Wochen lang zittern, weil Oros oder seine Roboter einem überall auflauern können. Das Internat muss ich auch anrufen. Die Lehrer werden mich vierteilen.«
    »Sind die Strafen an euren Schulen so streng?«, fragte Theo entsetzt.
    »Wenn man das Schulgeld rechtzeitig bezahlt, wird man meistens begnadigt.« Sophia zwinkerte ihm zu.
    »Leider geht es nicht schneller, Sophia«, kam Nico wieder auf die Frage der Reparaturzeit zurück.
    Ihr Blick wechselte zu Theo. Die beiden hatten zuvor unter vier Augen einen Plan besprochen, wie sie Oros zu überlisten und Theos Freunde aus Mekanis zu befreien hofften. »Was meinst du?«
    »Du sagtest, die andere Sache würde sowieso nicht von heute auf morgen gehen.«
    »Welche andere Sache?«, bohrte Lotta in betont lang gezogenen Silben nach, so wie eine Mutter, die ihrer Tochter bei etwas Ungehörigem auf die Schliche kommen wollte.
    »Nichts Gefährliches«, antwortete Sophia.
    »Wohin willst du diesmal reisen?«, fragte Theo, der schon etwas mehr wusste als die besorgte Großtante.
    »Dorthin, wo ich aufgewachsen bin. Wo sich noch die Werk statt meines Vaters befindet. Und wo Arki sich bestimmt zu Hause gefühlt hätte. In die Goldstadt.«

33
    H inter der großen Lupe an dem Schwenkarm sah das Gesicht des Schmuckexperten komisch verzerrt aus. Außer ihm befanden sich nur Sophia und Theo in der Werkstatt. Die Sonne schüttete ihr Licht in verschwenderischer Fülle durch die großen Fenster, hinter denen man das sprudelnde Wasser der Enz sah. Im Raum standen acht verwaiste Arbeitstische mit hellen Kunststoffplatten, alle sauber wie geleckt. Wäre es nicht Wochenende, würden sich daran Goldschmiede und Uhrmacher über exquisite Stücke der Juwelierskunst beugen. Ihr Chef, der Mann hinter dem beleuchteten Vergrößerungsglas, hieß Doktor Lukas P. Unruh und war zugleich Inhaber und Geschäftsführer der Pforzheimer Juwelenschmiede Torvic Layher. Er ließ sich viel Zeit bei der Begutachtung des ersten jemals geschaffenen Fabergé-Eies.
    Seine zwei Besucher waren am späten Vormittag mit dem Zug in der ehemaligen badischen Residenzstadt eingetroffen. Pforzheim

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