Der verbotene Schlüssel
nicht Sophia Kollin, die Tochter meines auf alle Zeiten besten Goldschmieds Rasmus Kollin, die Kleine, die früher immer sämtliche Bleistifte der Firma im elektrischen Anspitzer zerraspelt hat, dann hätte ich dich nicht mal empfangen – vor allem nicht an einem Samstag. Wer glaubt denn so was! Ein Fabergé-Ei, das man bisher nur von Zeichnungen kennt, und von dem alle denken, es sei immer nur beim Entwurf geblieben.«
»Aber es ist ein Original«, beharrte Sophia.
Unruhs bis dahin ausdrucksloses Gesicht entspannte sich. Ein Lächeln erschien darauf und er nickte. »Ja. Es ist zwar ein Wunder, doch es ist echt.«
Sophia fiel ein Stein vom Herzen. Hätte Doktor Unruh das Fabergé-Ei als Fälschung abgetan, wäre ihr ganzer Plan ins Wanken geraten …
Abrupt, so als habe er gerade eine innere Versuchung niedergerungen, stellte er das nachtblaue Ei auf den Tisch und schüttelte den Kopf. »Ich habe deinen Vater sehr geschätzt, Sophia, aber bei aller Freundschaft, was du da von mir verlangst, ist unmöglich.«
Die Blicke der zwei Jugendlichen traten abermals in ein stilles Zwiegespräch. Gib dich nicht so schnell geschlagen!, schienen Theos ausdrucksvolle Augen zu rufen. Sophia wandte sich wieder dem Firmenchef zu.
»Wenn Sie für mich, wie Sie es nennen, das Unmögliche vollbringen, und wenn alles vorüber ist, dann gebe ich Ihnen für Ihr Fabergé-Museum das originale Ei meines Ururgroßvaters.«
»Du bist noch nicht volljährig. Ich glaube nicht …«
»Mein Notar, Doktor Anton Sibelius, hat bereits alle nötigen Papiere vorbereitet. Ich habe sie dabei.«
»Ist die Überlassung des Eies als Dauerleihgabe gedacht?«
»Nein, als Schenkung.«
Doktor Unruh musterte sie wie eine Brosche mit fragwürdiger Herkunft.
Wirft er mich jetzt raus?, fragte sich Sophia.
Plötzlich lächelte er und reichte ihr die Hand. »Versprochen?«
Sie schlug ein. »Versprochen.«
Um sie herum tuschelten große und kleine Uhren, so jedenfalls hörte es sich an. Sophia ertappte sich neuerdings immer öfter dabei, von ihnen wie von lebendigen Wesen zu sprechen. Zweifellos färbte der Einfluss ihres etwas sonderlichen Gastgebers, des Doctor Mechanicae, bereits auf sie ab. Vor dreieinhalb Wochen war sie mit Theo wieder zurückgekehrt in ihr Refugium in der Luzerner Mythenstraße 9.
Jetzt saßen sie an einem Klappsekretär in Nicos Arbeitszimmer. Lotta stand hinter ihnen und verfolgte mit düsterer Miene, wie die Finger ihrer Großnichte über die Computertastatur flitzten wie Pandinenfüße. Klick-klick-klick-quietsch! machte es – die Enter-Taste fiel etwas aus dem Rahmen.
»Auch wenn ich mich wiederhole«, sagte Theo, »findest du es nicht verfrüht, dich jetzt schon aus der Deckung zu wagen, Sophia? Meister Nico braucht noch ein paar Tage, bis er mit der Weltenuhr fertig ist. Wenn sie nicht richtig funktioniert, könnte der Schuss nach hinten losgehen. Oros wird uns bezwingen anstatt wir ihn.«
»Er muss wissen, dass es jetzt für ihn ums Ganze geht. Nur wenn wir ihn unter Zeitdruck setzen, wird er Fehler machen.« Sie tippte weiter.
»Und falls er deine E-Mail-Adresse zurückverfolgt?«, gab Lotta im Rücken der beiden zu bedenken.
»Kann er nicht. Ich benutze einen anonymisierten Allerweltsaccount.«
»Mir wäre am liebsten, ihr würdet euren verrückten Plan aufgeben.«
Sophia drehte sich stöhnend zu ihr um. »Tante, das haben wir doch schon alles hundertmal durchgekaut. Es gibt keine andere Möglichkeit. Außerdem wird der Stundenwächter uns nie in Ruhe lassen.«
»Du bist genauso sturköpfig wie mein Bruder.«
Sie grinste. »Dürfte daran liegen, dass ich seine Enkelin bin.«
»Das ist überhaupt nicht komisch, Sophia. Du bist zu jung, um von diesem Unhold mechanisiert zu werden.«
»Ich zweifle, ob er das könnte. Theo hat er in der Asservatenkammer auch nur vorübergehend lähmen können.«
»Es ist trotzdem zu gefährlich. Ich kann da nicht länger zusehen.« Lotta murmelte noch irgendetwas Unverständliches, drehte sich um und verließ kopfschüttelnd den Raum.
Sophia atmete vernehmlich aus.
»Deine Muhme macht sich Sorgen um dich«, sagte Theo.
Sie nickte. »Ich weiß.« Ihr Blick wanderte hinüber zu seinem Gesicht. »Und ich habe Angst um dich.«
»Wieso? Ich bin nur ein Junge, der zufällig in diesen ganzen Schlamassel hineingeraten ist.«
»Mir sind da in den vergangenen Wochen Zweifel gekommen, Theo. Ich konnte ja sowieso nicht viel mehr tun, als über deine Geschichte
Weitere Kostenlose Bücher