Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der verbotene Schlüssel

Titel: Der verbotene Schlüssel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
deutete auf die Uhr in ihren Händen. »Sie ist jetzt da drin, völlig starr. Mit allen Menschen, Tieren und Pflanzen. Ich glaube, ich bin dir ein paar Erklärungen schuldig.«

6
    A m liebsten hätte ich mir die Ohren zugehalten. Dabei ahnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht, wie schlimm es um den verletzten Seemann vor dem Haus stand. Immer verzweifelter hämmerte er gegen die Tür. Jeden Moment würden die Verfolger in die Straße stürmen. Dann wäre alles verloren. »Ich bin es, Hyrkan«, keuchte er seinen Namen. Die Frühlingssonne brannte ihm unbarmherzig aufs Haupt. Ihm war schwindlig, er blutete aus verschiedenen Wunden und fühlte sich mehr tot als lebendig. Mit der Linken presste er sich das in den Falten seines Mantels verborgene Diebesgut an die Brust, während er mit der Rechten weiterklopfte. »Ihr müsst Euch an mich erinnern, Herr. Bitte lasst mich ein!«
    Drinnen wurde mir speiübel. Ich kannte das Gefühl, mein Leben in die Hände anderer zu legen. Gerade zwei Jahre zuvor hatten mich römische Soldaten aus Menosgada mitgenommen. Weg von meinen Eltern. Damals war ich neun. Aus dem kleinen Barbaren sollte ein zivilisierter Mann werden. Ich verlor alles. Selbst meinen germanischen Namen Godwin, »Freund der Götter«, hatten sie durch einen griechischen ersetzt. Seitdem war ich Theophilos, der »Freund Gottes«, nur eines einzigen Himmelswesens also. Aber welchem der launischen Geister der Hellenen man mich anbefohlen hatte, das wollte mir niemand sagen. Ich war ja nur ein Knabe. Ein Nichts. Das Schicksal des armen Hyrkan lag nicht in meiner Hand. Mir war es nicht einmal erlaubt, für ihn das Wort zu ergreifen. Stattdessen blickte ich nur atemlos über das prachtvolle Bodenmosaik hinweg zu Agamemnon.
    Der spindeldürre, aus Artaxata stammende Leibdiener des Hausherrn stand breitbeinig vor der Tür und bellte: »Scher dich fort!«
    Dadurch erreichte er genau das Gegenteil. Hyrkan schöpfte neue Hoffnung. Zwar gehörte die schrille Stimme nicht dem Mann, um dessen Gunst er flehte, aber wenigstens war jemand im Haus. »Ich werde verfolgt, Herr«, rief er abermals. »Die Häscher kennen keine Gnade. So öffnet doch bitte, damit für uns alle morgen noch die Sonne aufgeht.«
    »Was hat er gesagt?«, flüsterte drinnen Poseidonios von Apameia. Statt der üblichen Toga trug er nur ein langes Leinentuch um die Lenden, weil er gerade ein Heublumenbad hatte nehmen wollen. Seine von Gichtknoten verunstaltete Rechte stützte sich auf meine Schulter. Er war ein hagerer Greis von über achtzig Jahren mit fliehender Stirn und sauber gestutztem weißen Vollbart, der ebenso als Gelehrter wie als Staatsmann große Achtung genoss. Ihm gehörte das luxuriöse Stadthaus.
    »Der Halunke meint, für ihn werde morgen die Sonne nicht mehr aufgehen«, schnarrte Agamemnon.
    »Das stimmt nicht, Meister«,wagte ich zu widersprechen und sah zu meinem Lehrer auf. »Der Mann bat um Eure Gnade, damit für uns alle morgen noch die Sonne …«
    »Schweig, du germanischer Barbar!«, fuhr mir der dürre Knurrhahn über den Mund.
    »Lass unsere kleine Ameise in Frieden, Agamemnon«, ermahnte ihn Poseidonios. Danach rieb er sich das Kinn, wie er es oft zu tun pflegte, wenn er intensiv nachdachte. Denken war seine Lieblingsbeschäftigung, denn vor allem sah er sich als Philosoph. Das griechische Wort philosophos bedeutet nichts anderes als »Freund der Weisheit« und folgerichtig waren ihm unkluge Entscheidungen zuwider.
    Einmal mehr erzitterte die Tür unter Hyrkans heftigem Pochen. Seine Stimme überschlug sich vor Angst. »Ich kann die Soldaten schon hören, Herr!«
    Der Leibdiener holte tief Luft, um dem Bittsteller eine vernichtende Abfuhr zu erteilen. Bevor auch nur eine Silbe die Barriere seiner schmalen Lippen überwinden konnte, befahl Poseidonios jedoch: »Lass ihn herein, Agamemnon.«
    Der fuhr bestürzt herum und rang vor dem Philosophen die Hände. Agamemnon besaß einen ausgeprägten Hang zum Nörgeln und war ein Schwarzseher, wie er im Buche steht. »Ihr dürft ihm nicht trauen, Herr. Ich kenne diesen Kerl. Hyrkan gehörte zu den kilikischen Seeräubern, die bis vor Kurzem das ganze Meer unsicher gemacht haben. Man munkelt, er sei sogar die rechte Hand ihres Anführers Aristobul gewesen. Bestimmt will er uns alle ermorden. Und selbst wenn nicht – Ihr seid ein geachteter Staatsmann und solltet Euch nicht mit Piratenpack …«
    »Schluss jetzt!«, fiel ihm Poseidonios ins Wort. »Dies ist immer noch mein Haus, und ich

Weitere Kostenlose Bücher