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Der verbotene Schlüssel

Titel: Der verbotene Schlüssel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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beeindruckt wendete der Gelehrte den Diskus hin und her. Seine Fingerkuppen strichen ehrfürchtig über die erhabenen Schriftzeichen. Nie zuvor hatte ich meinen Herrn so überrascht erlebt. Selbst die Geräusche der Soldaten, die in der Straße systematisch die Häuser durchkämmten, brachten ihn nicht aus der Ruhe. »Ich kenne diese Schrift«, sagte er schließlich. Er sprach noch leiser als gewöhnlich. »In der Bibliothek von Alexandria habe ich die Symbole studiert. Kretische Priester in den Palästen Phaistos, Knossos und Kato Zakros benutzten sie vor langer Zeit, um ihr geheimes Wissen aufzuzeichnen.«
    Die Legionäre hämmerten an die Tür des Nachbarhauses. Dumpf drang die dröhnende Stimme eines Zenturios herein, der sich Obal nannte. Er behauptete, mit Billigung des Stadtrats vorzugehen, und verlangte Zutritt, um das Gebäude zu durchsuchen. Nach einer kurzen Stille, die wohl einer Frage aus dem Haus geschuldet war, rief er: »Wir suchen Hyrkan von Tarsus, einen flüchtigen Piraten. Er ist Rädelsführer eines Aufstandes. Jeder, der ihm Unterschlupf gewährt, wird des Hochverrats angeklagt.«
    »Bei Zeus und sämtlichen Göttern, wir werden alle sterben«, krächzte Agamemnon entsetzt.
    »Rädelsführer!«, schnaubte Hyrkan. »Dass ich nicht lache! Selbst wenn der Senat von Rom diesen Mann geschickt hätte, besäße er auf Rhodos keine Befugnis. Niemand weiß das besser als Ihr, Herr.«
    Poseidonios ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Vielleicht bist in Wahrheit du der Lügner? Sollte ich meinen Hals für dich riskieren, müsstest du mir schon einen triftigen Grund liefern. Was weißt du über diese Scheibe?«
    Hyrkan blickte gehetzt zur Tür, während die Worte nur so aus ihm hervorsprudelten. »Sie gehörte Aristobul, dem Anführer der kilikischen Piraten. Er hat sie von einem Geisterschiff mitgenommen, einem Segler, der verlassen zwischen den Säulen des Herakles trieb. Ich kann sowieso nicht lesen, aber selbst Aristobul, der ein gebildeter Mann ist, wusste mit den Zeichen nichts anzufangen. Allerdings konnte er den Papyrus entziffern, den wir neben dem Diskus in einem kostbaren Holzkasten fanden. Darin stand, die goldene Scheibe sei das Buch der Zeit. Es enthalte ein Wissen, das seit Äonen von den Erleuchteten gehütet worden sei. Als die Weisen von Ys es auf die runde Tafel bannten, wurden sie für diesen Frevel von Poseidon bestraft. Er ließ ihre Stadt im Meer versinken …«
    » Ys ?« Agamemnon schüttelte empört den Kopf. »Davon habe ich noch nie gehört. Das ist nichts als Seemannsgarn.«
    Das stimmt nicht! , schoss es mir durch den Sinn. Ich kannte das Lied von Ys aus Menosgada. Mein Vater hatte es mir oft vorgesungen. Die bretonischen Kelten betrachteten es als Teil ihrer Geschichte. In der versunkenen Stadt Ys , so hieß es darin, lebe die schöne Prinzessin Dahut als Meerjungfrau. In klaren Mondnächten erscheine sie manchmal den Fischern, ihr langes blondes Haar kämmend und betörend singend …
    »Du irrst!«, widersprach Poseidonios seinem Diener und schnitt damit meinen Erinnerungsfaden ab. » Ys wird bei uns Atlantis genannt.« Mit einem Nicken bedeutete er Hyrkan weiterzusprechen.
    Der Kilikier redete so überstürzt, dass ich Mühe hatte, ihn zu verstehen – mein Griechisch war zu dieser Zeit noch lückenhaft. Unterdessen nahm der Lärm auf der Straße weiter zu. Offenbar waren die Legionäre mit der Durchsuchung des Nachbargebäudes fertig und näherten sich nun Poseidonios’ Haus.
    Als die Insel im Meer versank, haspelte Hyrkan, band sich einer der Weisen samt der goldenen Scheibe an eine Korkeiche. Gwenole habe man diesen Erleuchteten in Ys genannt. In Wahrheit sei er Glaukos gewesen, Sohn des Minos, des Königs von Kreta. Im Papyrus stehe, er habe das Buch der Zeit über den Tod hinaus beschützen und es nicht eher loslassen wollen, bis ein Freund der Götter komme, dessen Edelmut stärker sei als die Gier nach Macht. Wer nämlich die Worte richtig zu deuten wisse, die auf dem Diskus von Ys verewigt seien, der könne Herrscher einer ganzen Welt werden. Aber zugleich werde er eine andere zum Stillstand bringen.
    Glaukos hatte die gewaltige Kraft der Poseidonwelle unterschätzt. Sie entwurzelte den Baum, und als sie sich auf den Ozean zurückzog, nahm sie den kretischen Prinzen mit. Angeblich habe der Diskus ihn in ein Wesen halb Mann halb Fisch verwandelt, schloss Hyrkan seinen Bericht. Niemand wisse genau, wie das Buch der Zeit später wieder in den Besitz der Menschen

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