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Der verbotene Schlüssel

Titel: Der verbotene Schlüssel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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und letztlich auf das Geisterschiff gelangte.
    Die Haustür krachte, als schlüge jemand mit einem Schwertknauf dagegen. »Hier ist Zenturio Obal. Ich komme im Auftrag des Stadtrats. Öffnet, damit wir uns bei Euch umsehen können. Hyrkan von Tarsus versteckt sich in der Gegend. Er hat einen Aufstand angezettelt.«
    Poseidonios legte den Finger auf die Lippen, zog Hyrkan tiefer ins Haus hinein. Agamemnon und ich folgten ihnen.
    »Warum bist du mit dem Diskus ausgerechnet zu mir gekommen?«, flüsterte der Philosoph auf dem Weg ins Bad.
    »Aus Dankbarkeit«, erwiderte Hyrkan ebenso leise. »Ihr habt mich damals, nachdem Pompeius uns Seeräuber besiegt hatte, vor der Hinrichtung gerettet und mir in Kilikien ein Stück Land zum leben gegeben. Seit diesem Tage habe ich nichts mehr gestohlen – abgesehen von der Goldscheibe. Ich ließ mir bei jeder Gelegenheit von den Lehren des großen Denkers Poseidonios von Apameia berichten. Heißt es nicht in Eurem Ozeanbuch , zwischen allen Teilen der Welt, vom Himmel bis zur Erde, gebe es einen engen Zusammenhang?«
    »Anscheinend kennst du meine Schriften tatsächlich«, brummte der Philosoph.
    Hyrkan nickte eifrig. »Und daran habe ich mich erinnert, als ich einen vertrauenswürdigen Menschen suchte, dessen Obhut ich den Diskus von Ys übergeben könnte …«
    Der Pirat zog erschrocken den Kopf ein, als von der Eingangshalle abermals das Hämmern des Zenturios herüberhallte. Obal drohte damit, die Haustür einzuschlagen.
    »Wir werden alle sterben«, jammerte Agamemnon.
    Poseidonios achtete nicht auf ihn. Stattdessen wandte er sich mir zu, stutzte und murmelte: »Du bist schon wieder aus deiner Tunika herausgewachsen.«
    Ich hatte nur mit halbem Ohr zugehört, weil mir die singende Meerjungfrau nicht aus dem Kopf gehen wollte. Verwirrt blickte ich an mir herab. Na gut, das ärmellose weiße, aus zwei rechteckigen Wolltüchern zusammengenähte Kleidungsstück endete weiter oberhalb der Knie, als mir lieb war. Nur, warum musste mein Lehrer ausgerechnet jetzt darüber sinnieren? Derartige Anfälle von Zerstreutheit waren mir bei ihm in letzter Zeit schon häufiger aufgefallen.
    Agamemnon rang die Hände und stöhnte: »Schickt wenigstens den Jungen weg, Herr. Vielleicht kann er Hilfe holen. So überlebt zumindest einer von uns.«
    Poseidonios rieb sich das Kinn. Seine Bedächtigkeit kostete mich fast den Verstand.
    »Habt Ihr Anweisungen für mich, Meister?«, drängte ich.
    »Ja …«, antwortete er gedehnt. »Du könntest … Ah, jetzt weiß ich, wie wir’s machen! Hör mir gut zu, Morvi.« Immer wenn er mir etwas Wichtiges zu sagen hatte, redete er mich mit dem keltischen Wort für Ameise an. Der Spitzname stammte noch von meinem Vater. Poseidonios flüsterte mir seinen Plan ins Ohr und fragte, ob ich das hinbekäme.
    Ich nickte beklommen. »Bestimmt, Meister.«
    »Dann nichts wie los! Unser Leben liegt in deiner Hand.«
    Wie Hyrkan mir später berichtete, ließ Poseidonios ohne Scham die letzte Hülle fallen. Sein entblößter, hagerer Leib wirkte wie die Verkörperung menschlicher Vergänglichkeit. »Hilf mir ins Bad«, befahl er seinem Leibdiener und deutete auf das großzügig dimensionierte Bassin, das ein Mosaik mit Delfinen, Nymphen und anderen Meeresbewohnern schmückte. Auf der Wasseroberfläche schwammen die Köpfe verschiedener Trockenblumen, zusammengestellt nach einer keltischen Rezeptur zur Linderung von Altersbeschwerden.
    »I-ins Bad?«, stotterte Agamemnon ungläubig. Sein Gesicht war kalkweiß. »Draußen steht eine Kohorte mordlustiger Legionäre und Ihr wollt baden? «
    »Frag nicht, sondern gehorche.« Poseidonios gab Hyrkan einen Wink. »Und du kommst mit hinein. Die Kräuter werden deinen Wunden guttun. Später kann Theo sie gründlich mit Dattelessig reinigen.«
    Leise murrend half Agamemnon seinem Herrn ins Becken. Daneben ließ sich auch der ehemalige Pirat in den Kräutersud gleiten. Poseidonios setzte sich ächzend auf einen Absatz, sodass nur noch sein Kopf aus dem Wasser ragte. Den Diskus von Ys schob er sich unter den Hintern. Hiernach befahl er seinem Diener, den Holzbottich mit dem Rest der Heublumen ins Bassin auszuleeren.
    »Ich zähle bis zehn. Dann brechen wir die Tür auf«, hallte von fern Obals Stimme durchs Haus. »Eins …«
    Während der Zenturio sich draußen für den Sturm des Gebäudes wappnete, breitete Agamemnon weisungsgemäß einen dichten Teppich aus getrockneten Blüten auf der Wasseroberfläche aus. Poseidonios deutete mit

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