Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der verbotene Schlüssel

Titel: Der verbotene Schlüssel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
Leben verdanken. Im Gegensatz zu mir war Hyrkan nach Eurer Verteidigungsrede wie von Euch besessen. Ständig hat er mir von Eurer Gelehrsamkeit vorgeschwärmt. Wie die alten Ägypter glaube auch der weise Poseidonios, alles Irdische sei ein Spiegelbild des Himmlischen, hat er mir erklärt. Wie oben, so unten. Die Weltenformel hinter diesem uralten Mysterium zu finden sei Euer höchstes Ziel …«
    »Verzeiht, wenn ich Eure Ausführungen unterbreche«, ging Poseidonios dazwischen. Hyrkan dankte den Göttern dafür; er fürchtete, jeden Moment die Besinnung zu verlieren. »Was haben meine Hypothesen mit dem Piraten zu tun, den Ihr sucht … Wie lautete sein Name doch gleich?«
    »Hyrkan«, knirschte Obal. »Er hat etwas gestohlen. Ein altes Buch, das Eure Vorstellung von den Gesetzen des Kosmos zu stützen scheint. Daher liegt die Vermutung nahe, dass er Euch aufsuchen wollte, als er mit seinem Diebesgut nach Rhodos floh.«
    »Schade, das hätte mich interessiert. Leider kann ich Euch nicht helfen.«
    »Da bin ich mir nicht so sicher.«
    Ein Moment der Stille trat ein. Hyrkan meinte, sein Kopf müsste jeden Augenblick unter dem aufgeheizten Bottich platzen. Dann hörte er wieder Poseidonios’ Stimme, angespannt, fast panisch.
    »Was soll das, Zenturio?«
    »Ich will mir nur Gewissheit verschaffen, dass dieser Schurke nicht auf dem Grund Eures Beckens liegt und Euch das Badewasser verdirbt.«
    Dicht neben Hyrkan rauschte ein pilum ins Wasser. Er schnappte erschrocken nach Luft. Die römischen Wurfspeere hatten Spitzen aus gehärtetem Eisen, die sogar Rüstungen durchschlagen konnten. Einen menschlichen Körper durchlöcherten sie wie Papyrus.
    »Seid Ihr von Sinnen!«, keuchte der Philosoph. »Eure ungeschlachten Riesen werden mich noch verletzten.«
    Obal lachte. »Nur die Ruhe, alter Mann. Sie verstehen ihr Handwerk.«
    Ein zweiter Speer durchpflügte den trüben Kräutersud und verfehlte Hyrkan nur um Haaresbreite. Panik stieg in ihm hoch. Er musste an sich halten, um nicht zu schreien. Neben ihm schimpfte Poseidonios, was das Zeug hielt.
    »Sofort Schluss damit! Ihr seid römische Legionäre und keine Berserker.«
    »Wenn’s so wäre«, erheiterte sich Obal, »dann hätten wir im Gebäude zunächst alle umgebracht und es erst danach durchsucht. Mamik, ich wüsste zu gerne, was sich unter dem Zuber befindet …«
    »Der dient mir nur als schwimmender Tisch für meinen Becher. Mein Diener hätte mir längst den kühlen Trunk gebracht, wenn Ihr nicht so dreist in mein Haus eingedrungen wärt. Ihr solltet wissen, dass mir Euer Befehlshaber, Gnaeus Pompeius, freundschaftlich zugetan ist. Sofern Ihr nicht sofort verschwindet, werde ich mich bei ihm über Euch beschweren.«
    Hyrkan schloss die Augen und lauschte.
    Verheißungsvolle Stille.
    Hatte sich Obal einschüchtern lassen?
    Plötzlich hallte dessen Stimme wie ein Donnergrollen durchs Bad. »Sollten wir den Verräter bei Euch finden, Poseidonios, werden wir Euer Haupt dem Pompeius nach Alba Longa schicken. So könnt Ihr ihm alles persönlich erzählen.« Hyrkan vernahm das Klappern einer Rüstung, so als wende sich der Zenturio abrupt seinen Spießgesellen zu. Und dann hörte er Worte, die ihm trotz des dampfenden Kräutersuds eine Gänsehaut über den Rücken riefen. »Mamik, nimm endlich deinen Speer und fisch den Zuber raus.«
    Ich hatte in der Zwischenzeit meinen eigenen Spießrutenlauf durchzustehen. Meine Erinnerungen aus Germanien versetzten mir die schmerzhaften Stiche. Ich wusste, zu welchen Grausamkeiten römische Legionäre fähig waren. Vor lauter Angst spürte ich körperliche Qualen allein bei der Vorstellung, Obals Posten könnten mich erwischen.
    Weil ich es gewöhnlich vorzog, Agamemnons Launen aus dem Weg zu gehen, beherrschte ich die Kunst der Unsichtbarkeit. So schaffte ich es, unbemerkt das Anwesen des Philosophen durch den Garten zu verlassen und über ein Nachbargrundstück auf die Straße zu gelangen. »Du musst den Zenturio und seine Männer von hier fortlocken«, hatte der Meister mir gesagt, ohne mir zu verraten, wie ich das anstellen sollte.
    Rätselhafterweise stand keine Wache vor Poseidonios’ Haus.
    Ich lief durch die offene Tür in die Empfangshalle und sah eine zerstörte Statue: Orpheus mit Lyra. Dem Sänger war der Unterarm samt Instrument abhandengekommen. Auf dem Boden lagen Marmorsplitter und Bruchstücke unterschiedlicher Größe. Aus verschiedenen Winkeln des Gebäudes drangen Geräusche an mein Ohr. Sie verhießen nichts

Weitere Kostenlose Bücher