Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der verbotene Schlüssel

Titel: Der verbotene Schlüssel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
festnehmen zu lassen …?
    Anders als befürchtet, langte er rasch an verschiedenen Stellen in die Figurengruppe hinein und duckte sich sofort wieder.
    Sophia sah ihn entgeistert an. Sie schüttelte den Kopf und hob in einer fragenden Geste die Hand. Was bitte war das?
    Er riss die Augen auf, schüttelte ebenfalls den Kopf, versuchte, sie von irgendetwas abzuhalten, doch es war schon zu spät. Ihre durch die Luft pflügende Rechte streifte etwas Hartes, metallisch Kühles …
    Sophia wirbelte herum und starrte wie gebannt auf die Gliederpuppe.
    Die bewegte sich nicht. Vielleicht war ihr die leichte Berührung entgangen. Theo hatte gesagt, Maschinen hätten keine Gefühle … Sophias Gedanken gerieten ins Stocken, als sich das mechanische Wesen zu regen begann. Ganz langsam drehte es sich zu den beiden um und Sophia lief ein kalter Schauer über den Rücken.
    Die Gliederpuppe hatte plötzlich ein Gesicht. Mit großen Augen und erkennbar missfälliger Überraschung blickte es auf die am Boden Kauernden herab. Nach einer Schrecksekunde riss sie ihr Schwert aus der Scheide und schrie: »Alaaaarm!«
    »Kopf runter!«, brüllte Theo.
    Sophia gehorchte reflexhaft. Um Haaresbreite verfehlte die stählerne Klinge ihren Hals und krachte gegen den Figurensockel. Funken sprühten. Der Geruch versengter Haare kroch ihr in die Nase.
    In der Mitte des Gangs griffen die Dreifach Gehörnten Automanten derweil den Alarmruf ihrer Kameradin auf und wiederholten ihn im Chor. »Alaaaarm!«, hallte es durch die Zeitwäscherei. Ihre Stimmen klangen wie Posaunenschall.
    Theo zerrte Sophia vom Sockel weg, weil die Gliederpuppe gerade zum zweiten Schlag ausholte. Sie versuchte, den davonkrabbelnden Menschen mit erhobenem Schwert nachzusetzen, doch plötzlich schoss etwas Langes zwischen Laokons Beinen hervor und wickelte sich schnell wie eine Peitschensehne um ihren Hals.
    »Eine … Schlange? «, japste Sophia. Sie traute ihren Augen nicht. Das Reptil glich einer ausgewachsenen Python mit Kupferhaut. Es bestand aber nach wie vor aus Metall, denn bei jedem Schwerthieb der sich wehrenden Gliederpuppe sprühte der glänzende Schlangenleib Funken.
    »Du hast die Puppe beseelt und ich das Tier«, keuchte Theo. Er war immer noch bemüht, sie aus der Gefahrenzone zu ziehen. Zwangsläufig verließen sie dabei ihre Deckung und gerieten so ins Sichtfeld der Dreifach Gehörnten Automanten.
    Theo ließ Sophias Hand los und rief: »Jetzt musst du dich an mir festhalten. Und lass mich ja nicht los!«
    Rasch umklammerte sie seinen Arm und beobachtete, wie er das Nürnberger Ei aus dem Karton holte und den Schlüssel ein winziges Stück drehte.
    Daraufhin geschah erst einmal nichts.
    »Menschenkinder! Sie dürfen uns nicht entkommen!«, dröhnte unvermittelt einer der hornbewehrten Zentauren, vermutlich ihr Anführer. Seine ohrenbetäubende Stimme ließ Sophia vor Schreck heftig zusammenfahren. Damit setzte sie ungewollt eine verhängnisvolle Kette von Ereignissen in Gang:
    Zunächst entglitt Theo durch den überraschenden Ruck am Arm das schwere Messingei. Es flog in die Höhe, landete dicht unterhalb seiner rechten Kniescheibe, löste dort den sattsam bekannten Kniesehnen- oder Patellarreflex aus, der seinen Unterschenkel in die Höhe schießen ließ und der Uhr weiteren Schwung verlieh. So beschleunigt schoss sie im Bogen durch die Luft, streifte unterwegs die Seeschlange, die noch mit dem Würgen der Gliederpuppe beschäftigt war, wurde von den kräftigen Reptilienmuskeln noch einmal beschleunigt und landete schließlich im flachen Winkel auf dem Boden, wo sie ein Stück weit herumeierte, ins Schlittern geriet und schließlich an der Wand zum Stillstand kam.
    »Ich muss verflucht sein, niemals hier wegzukommen«, schrie Theo. Er vermied es, Sophia anzusehen.
    Sie fühlte sich trotzdem schuldig. »Ist die Uhr denn kaputt?«, fragte sie kleinlaut.
    »Nein, ich glaube nicht. Würde sie nicht mehr gehen, hätten wir erstarren müssen. Aber was nützt es uns? Wir kommen nicht an sie ran. Wenn sie jetzt stehen bleibt, dann wird sie ohne uns in die Menschenwelt versetzt.«
    Sophia war zum Heulen zumute. Wenigstens machte er ihr keine Vorwürfe. Mit Tränen in den Augen blickte sie sehnsüchtig zu dem Uhr-Ei, das jenseits der mit der Schlange kämpfenden Gliederpuppe lag. Theo hatte recht. Es war zu spät. Selbst wenn sie noch irgendwie an die Weltenuhr herankämen, würden sie nicht in Ruhe abwarten können, bis sie erneut stehen blieb …
    Ein gellender Schrei

Weitere Kostenlose Bücher