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Der verbotene Schlüssel

Titel: Der verbotene Schlüssel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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hochgestemmt und rief lauter als zuvor.
    Der stummelhörnige Automant wandte sich ihm zu und trompetete: »Lauft, Theo!« Blitzschnell wirbelte er herum, um einem unvorsichtigen Gegner das Halsgelenk zu brechen. Während der Artgenosse zu Boden schepperte, rief Thaurin: »Aber sei vorsichtig. Medusa ist mir entwischt, als mir ihr Gift die Hörner wegätzte. Sie ist ein listiges Biest. Sollte sie hier aufkreuzen, kann ich sie nicht lange aufhalten.«
    Theo streckte den Arm nach dem Karton aus, zog ihn zu sich heran und ächzte: »Dürfte ich bitte aufstehen, Sophia?«
    Sie stellte sich breitbeinig über ihn und half ihm auf die Beine. Kaum stand er neben ihr, übernahm er auch schon wieder die Initiative, besser gesagt packte er ihre Hand und ermahnte sie, ihn ja nicht loszulassen. Dann lief er mit ihr los.
    Als er an Thaurin vorbeikam, rief er ihm ein Dankeschön zu und versprach zurückzukommen. »Ich werde dich nicht im Stich lassen.«
    »Verschwindet endlich!«, donnerte der große Zentaur, ohne sich zu ihnen umzudrehen. Er hatte sich mitten im Gang aufgebaut, das Haupt drohend gegen die Artgenossen gesenkt. Die belauerten ihn zwar, wagten aber keinen Durchbruch. Noch nicht. Vielleicht warteten sie auch nur, bis der Alarm andere Maschinenwesen auf den Plan rief und sie es dem Verräter heimzahlen konnten.
    »Wer war das?«, fragte Sophia, als Thaurin und die anderen Automanten hinter der sanften Biegung des Gangs verschwanden.
    »Ein Freund«, antwortete Theo knapp.
    »Und wer war noch gleich Medusa?« Sie blickte fortwährend nach hinten. Deshalb bemerkte sie zu spät, dass er plötzlich stehen blieb, und stolperte mitten in ihn hinein.
    »Das ist Medusa«, erwiderte er.
    Der düstere Ton in seiner Stimme ließ Sophia den Kopf herumwerfen. Wie eben noch Thaurin den eigenen Artgenossen, so verstellte jetzt ihnen ein anderes Geschöpf den Weg. Gerade erst war es hinter der Biegung zum Vorschein gekommen und griff sofort an. Auf seinen acht Beinen kam es rasend schnell näher. Auffälligerweise unterschied es sich, ebenso wie Theos Automantenfreund, von den übrigen Maschinenwesen durch seine Augen – sie waren rot und wie böse funkelnde Sterne gezackt. Den vielgliedrigen Schwanz hielt die Kreatur über den Kopf nach vorne gereckt und zielte mit dem sichelförmigen Stachel auf die Menschenkinder.
    »Alles war umsonst.«
    Sophia kam es so vor, als hätte jemand anders und nicht sie selbst die verzweifelten Worte gesprochen. Ihr Herz schien sich jäh in einen Eisblock zu verwandeln. Alle Kraft, aller Mut, alle Hoffnung in ihr erstarrten. Nur ihre Knie wurden weich. Beiläufig merkte sie, wie Theo einen Arm um sie schlang, damit sie nicht zusammensackte. Ihr wurde schwindelig. Wenn er etwas sagte, dann hörte sie es nicht. Sofern er sonst etwas tat, so sah sie es nicht. Ihre Augen konnten nur die mechanische Kreatur mit den feuerroten Haaren anstarren, die mit klickenden Schritten flink wie ein riesiger Skorpion herbeitrippelte. Selbst in ihren schlimmsten Albträumen hatte sie noch kein so schreckliches Wesen gesehen.
    Medusas grauenvoller Anblick war auch das Letzte, was sie in die große Dunkelheit mitnahm.

9
    E in metallisches Kreischen riss Sophia aus der Bewusstlosigkeit. Im Geiste sah sie wieder die Zehngliedrige Pandine. Mächtige Scheren schnappten nach ihr …
    »Bitte wach auf, Sophia!«, drängte plötzlich eine Stimme. Sie klang eher verzweifelt als gefährlich, eher nach dem Jungen, dem sie nicht hatte trauen wollen, als nach Medusa, diesem grauenvollen, rotäugigen Maschinenwesen. Aber woher kam dann das schrille Geräusch?
    Sophia schlug die Augen auf und blickte in Theos besorgtes Gesicht. Er sah ernst auf sie herab. Ihr Kopf lag in seinem Schoß …
    Sie fuhr erschrocken hoch. Die unerwartete Nähe des Jungen verwirrte sie. Hastig ging sie auf Abstand zu ihm. Dabei löste sich der Boden unter ihr in Luft auf und sie fiel …
    Spätestens jetzt war sie hellwach. Sie befand sich wieder auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Mitte, neben ebenjener Bank, die ihr zuvor als Sprungbrett in die Welt Mekanis gedient hatte. Ihr Gesicht begann zu glühen. So fühlte es sich immer an, wenn sie knallrot wurde.
    »Kurz bevor uns Medusa mit ihren Scheren den Garaus machen konnte, ist die Uhr stehen geblieben«, sagte Theo. »Dadurch sind die Welten in ihren ursprünglichen Zustand zurückgeschnappt: Mekanis ist im Ei und die Menschenwelt hat sich wieder nach außen gestülpt.« Bis auf ein verhaltenes Schmunzeln

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