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Der verbotene Schlüssel

Titel: Der verbotene Schlüssel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Höfe endlich hinter ihnen.
    Sophia blieb kurz stehen, um sich zu orientieren. Sie waren an der Rosenthaler Straße herausgekommen. Rechts von ihr lag der Hackesche Markt mit der S-Bahn-Station. Ihr Blick streifte Theos Gesicht. Augenscheinlich war er völlig perplex. Die Autos starrte er an, als wären es außerirdische Wesen, und als sich rumpelnd eine Straßenbahn näherte, wich er verstört zurück.
    »Am besten, wir verschwinden unter die Erde«, entschied Sophia, deutete nach links und begann wieder zu laufen.
    »Stehen bleiben! Sofort stehen bleiben!«, heulten mehrere Verfolger hinter ihnen.
    Theo schloss zu ihr auf. »Eine Höhle?«
    »So etwas Ähnliches. Hier nennt man es Untergrundbahn.«
    »Untergrund? Meinst du den Hades? Das Totenreich? Gibt es dort Höllenhunde?«
    »Nur eiserne Würmer, die durchs Erdreich brummen. Wart’s einfach ab.«
    Nach nicht einmal hundert Metern blieb Sophia abermals stehen. Hinter ihr erklangen die monotonen Rufe der Verfolger und das Antriebsgeräusch einer Straßenbahn. Rechts zweigte von der Rosenthaler die Neue Schönhauser Straße ab. Wo ging es noch gleich zur nächsten U-Bahn-Station …?
    »Da kommt Oros«, sagte Theo.
    Sie blickte kurz zum Südosteingang der Hackeschen Höfe zurück. Der Stundenwächter schritt forsch aus, was seine Rolle als blinder Greis durchaus unglaubhaft erscheinen ließ. Er scherte sich nicht darum. Ohnehin erregte seine Vorhut mit ihrem pausenlosen »Stehen bleiben! Sofort stehen bleiben!« erheblich mehr Aufmerksamkeit. Die Straßenbahn bog nach rechts ab. Sophia packte Theo am Arm und lief auf die Fahrbahn, direkt vor ein Taxi. Reifen quietschten. Als der Wagen zum Stehen kam, waren die zwei schon hinter dem rumpelnden Zug verschwunden.
    Ihre Füße flogen nun förmlich über das Pflaster. Sophia wollte die nächste Biegung erreichen, bevor aus der Rosenthaler Straße die Schergen des Stundenwächters auftauchten. Nach einem weiteren Hundertmeterlauf knickte der Straßenverlauf nach links ab.
    Im Laufen drehte sich Theo um. »Die kleben wie Kletten an uns dran.«
    »Wäre ja auch zu schön gewesen«, schnaufte Sophia. Sie deutete nach vorn, wo jetzt eine Straßenkreuzung zu sehen war. »Ich glaube, wir sind richtig.«
    Diesmal trog sie ihr Gefühl nicht. Die Weinmeisterstraße zweigte nach links im spitzen Winkel ab. Noch bevor die Kreuzung ganz erreicht war, sah Sophia das blaue U-Bahn-Schild. Es überragte eine an drei Seiten umzäunte Treppe, die unter die Erde führte.
    Hastig eilten sie die Stufen hinab. Sie mündeten in eine triste Vorhalle mit grauem Boden und hellblauen Keramikfliesen an den Wänden. Geradeaus gelangte man über eine weitere Treppe zu den Gleisen.
    Als sie unten ankamen, schwitzte Sophia aus allen Poren. Ihr Atem ging keuchend. Selbst Theo war außer Puste. Auf dem Mittelbahnsteig standen ein paar gelangweilte Fahrgäste. Linsenförmige Leuchten an der Decke verbreiteten ein kaltes Licht. Nur wenige Schritte entfernt saß ein alter Mann auf einem Drahtgittersitz und verfütterte Kekse an seinen kleinen fetten Hund. Irgendwo schrie ein Baby.
    »Was jetzt?«, fragte Theo ungeduldig.
    Sophia begann wieder zu laufen. Verstohlen beobachtete sie ein etwa zehnjähriges, verbissen dreinschauendes Mädchen, das mit einem rosa Gameboy spielte. »Wir warten auf den nächsten Zug.«
    »Worauf?«
    »Den eisernen Riesenwurm.«
    »Ich nehme an, man kann auf ihm reiten.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Man geht in ihn rein. Er ist kein richtiger Wurm, sondern eine Maschine.«
    Seine Augen weiteten sich. »Und das sagst du jetzt erst?«
    »Keine Angst. Der Zug ist völlig ungefährlich. Schlimmstenfalls erwischen sie uns beim Schwarzfahren.« Sie blickte besorgt zur Treppe zurück und fragte sich, ob es wirklich eine so gute Idee war, unter die Erde zu fliehen. Jeden Moment konnten die Schergen des Stundenwächters aufkreuzen. Wenn sie beide Ausgänge besetzten, dann wurde der Bahnhof zur Falle.
    Theo schnaubte. »Dir scheint immer noch nicht klar zu sein, mit wem wir es zu tun haben. Wer vor Oros flieht, kann keinem Mechanismus trauen.«
    Ihr lief ein Schauer über den Rücken. »Das habe ich nicht bedacht.«
    »Das solltest du aber. Diese Welt muss ein Paradies für ihn sein. Seit ich hier bin, sehe ich überall Automaten. Solche mechanischen Wackelmohren hat es zu meiner Zeit auch noch nicht gegeben.« Er deutete zu einem knapp Zwanzigjährigen mit Rastalocken und dunkler Haut, der einige Schritte weiter auf dem Bahnsteig stand,

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