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Der verbotene Schlüssel

Titel: Der verbotene Schlüssel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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ans Ohr. »Ist es möglich, dass Oros ihr etwas zugeflüstert hat?«
    »Das halte ich eher für unwahrscheinlich. Er konnte nicht wissen, wohin wir fliehen.«
    »Und warum hat sie genau dieselben Worte gerufen wie all die anderen Menschen, die dem Stundenwächter gehorchen?«
    »Sicher nur Zufall.«
    Plötzlich hörte Sophia hinter sich ein Stöhnen. Auch Theo hatte es wahrgenommen, denn beide fuhren gleichzeitig herum.
    »Der Zappelphilipp!«, keuchte sie erschrocken. Es kam ihr vor, als sähe sie einen Geist. Nur wenige Schritte trennten sie von dem jungen Mann mit den Rastalocken und den weißen Ohrstöpseln. Jetzt zuckte er nicht mehr, sondern humpelte nur noch mit schmerzverzerrtem Gesicht – vielleicht hatte er sich den Fuß verknackst, als er aus dem anfahrenden Zug gesprungen war. Seine Rechte umklammerte einen jener Steinbrocken, die hier überall zwischen und neben den Schienen lagen. Er bemerkte, dass er entdeckt worden war, und ächzte: »Stehen bleiben! Sofort stehen bleiben!«
    Sophia packte Theo am Ärmel und zog ihn mit sich. »Komm, da lang!« Anstatt auf das Hoffnung spendende Licht des nächsten Bahnhofs zuzuhalten, lief sie nach links. In die Finsternis.
    »Aber da sind wir blind«, widersprach Theo.
    »Der Zappelphilipp vielleicht. Wir werden eine Kerze haben.«
    »Wo willst du jetzt eine Kerze …?«
    »Lauf einfach weiter«, unterbrach sie ihn.
    Hinter ihnen erschollen wie das Mantra der Oros-Jünger die Worte: »Stehen bleiben! Sofort stehen bleiben!«
    »Nicht langsamer werden«, befahl Sophia und ließ sich einen halben Schritt zurückfallen, damit sie an den Rucksack kam, den Theo nach wie vor auf dem Rücken trug. Sie öffnete den Reißverschluss der aufgesetzten Handytasche und zog ihr flaches schwarzes Mobiltelefon heraus. Im Tunnel wurde es immer dunkler.
    »Was ist das?«, fragte Theo, als Sophia wieder neben ihm lief.
    »Die Eier legende Wollmilchsau des digitalen Zeitalters«, erwiderte sie knapp. Ihre Finger flogen über den Touchscreen des Handys.
    »Wie bitte?«
    »Ein Smartphone. Genauer gesagt ein iPhone«, murmelte sie.
    »Schon wieder ein Ei …?« Seine Stimme klang alarmiert.
    »Quatsch! Mit so einem Ding geht fast alles, nur in den Eierkocher stecken solltest du’s nicht … Voilà!« Auf dem Handybildschirm flammte das flackernde Abbild einer Kerzenflamme auf.
    Theo keuchte auf. »Das ist Zauberei!«
    »Nur Elektronik«, beruhigte ihn Sophia. Sie richtete das Display nach unten. Das Licht war gerade stark genug, um den näheren Umkreis ihrer Füße zu beleuchten und ihnen ein schnelleres Vorankommen zu ermöglichen. »Jetzt sind wir im Vorteil.«
    »Sofern Elektronik ein anderes Wort für Maschine ist, bin ich mir da nicht so sicher!«
    Sophia stöhnte. Theos Schwarzseherei zerrte an ihren Nerven. Sein Argwohn gegen alles Technische mochte übertrieben sein, doch unberechtigt war er nicht, wie gerade erst die umkehrende U-Bahn gezeigt hatte. Sie blickte zum Verfolger zurück. Der junge Mann verschwand nach ein paar Schritten in den Schatten. Nur seine schwächer werdende Stimme war noch zu hören. Stehen bleiben …! Sophia verschärfte abermals das Tempo.
    »Hast du eine Ahnung, wohin dieser Tunnel führt?«, fragte Theo. Die Gleise unter ihnen beschrieben eine weite Kurve.
    Sophia antwortete nicht, weil hinter ihr gerade ein unruhiges, kleines Licht aufleuchtete.
    Theo wandte sich ebenfalls um und sah nun auch die flackernde Flamme. »Anscheinend bist du nicht die Einzige, die eine künstliche Kerze in der Tasche trägt.«
    »Erzähl mir nichts, was ich schon weiß«, erwiderte sie gereizt. »Wir müssen den Kerl irgendwie loswerden.«
    »Du meinst also, ich soll ihn mit meinem Rückenhorndolch so mir nichts, dir nichts hinmeucheln?«
    »Unsinn. Bist du ein guter Faust- oder Ringkämpfer?«
    »Nein.«
    »Toll!«
    »Darf ich dich daran erinnern, dass du in diesen finsteren Höllenschlund …?« Theo verstummte jäh und drosselte sein Tempo.
    Unwillkürlich wurde auch Sophia langsamer und leuchtete besorgt sein Gesicht an. Er wirkte verstört. Seine Augen waren starr geradeaus gerichtet. Offenbar konnte er im Dunkeln besser sehen als sie …
    Plötzlich endeten unter ihr die Bahnschwellen. Eine düstere Ahnung ließ sie auf der Stelle stehen bleiben. Mit der künstlichen Kerze erkundete sie die Tunnelwände. Oberhalb von Mauerabsätzen waren links wie rechts leere Klammern auszumachen, die wohl irgendwann dicke Stromkabel hatten aufnehmen sollen. Das fahle Licht glitt

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