Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der verbotene Schlüssel

Titel: Der verbotene Schlüssel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
nicht, wenn es sich in seine Einzelteile auflöst.«
    »Entschuldige, war nicht so gemeint«, sagte er kleinlaut. Mit schuldbewusster Miene musterte er seine Hand, als wolle er Sophias Beschreibung auf ihre Richtigkeit überprüfen.
    Seine Betroffenheit machte sie verlegen. Ihr Gefühlsausbruch war kindisch gewesen. Als sie spürte, wie der Griff seiner Hand sich lockerte, fuhr sie erschrocken zusammen und packte umso entschlossener zu. »Nicht, Theo!«
    Er runzelte verwirrt die Stirn.
    Sie schlug die Augen nieder. »Ich kann mich selbst nicht leiden, wenn ich so zickig bin. Seit dem Tod meiner Eltern war ich nicht mehr so durch den Wind wie heute. Bitte lass mich nicht los, Theo. Bei dir fühle ich mich … sicher.« Eigentlich hatte sie geborgen sagen wollen, und gerne hätte sie ihm gestanden, dass sie ihn mochte – wenn es nur nicht so schwer wäre, ihm ihr Herz auszuschütten!
    Sie konnte sein Gesicht nicht sehen, als er antwortete, doch seine Stimme klang sanft.
    »Keine Sorge, Sophia, ich lasse dich nicht los. Plötzlich ohne Mutter und Vater zurechtzukommen, muss sehr hart für dich gewesen sein. Mir jedenfalls ist es so gegangen. Ich werde dich beschützen, bis wir unseren Feind bezwungen …« Er hielt unvermittelt inne und lauschte.
    Sie konnte das Geräusch ebenfalls hören.
    Die Sphärenmusik aus dem Ei!
    Allem Anschein nach war die Uhr wieder in Gang gekommen, als Sophias Angst, ihren Freund zu verlieren, sie heftig hatte zusammenzucken lassen.
    »Spürst du es auch?«, flüsterte sie.
    Theo nickte. »Fühlt sich so an, als würde man durch einen Strohhalm gesogen.« Er hob die Hand mit dem Gliederpuppenarm und fügte hinzu: »Mach dich auf das Schlimmste gefasst.«

12
    S ophia wagte nicht zu atmen. Um sie herum war es so dunkel wie in einem Kohlenkeller. Für die Rückkehr in die Menschenwelt konnte das von gut bis schlecht alles bedeuten. Auf der Positivseite ordnete sie fensterlose Abstellkammern oder einen vergessenen Frachtcontainer im Hafen von Honolulu ein. Eher zum Negativen hin tendierten kilometertiefe Atommüllendlager oder manövrierunfähige U-Boote auf dem Meeresgrund. Ganz mies dagegen wäre, wenn das Uhr-Ei sie in den verlassenen Tunnel zurückgeschickt hätte und Oros in der Finsternis auf sie lauerte. Alles eine Frage der Sympathie, hätte Theo vermutlich gesagt. Aber selbst er konnte nicht ahnen, wie kosmische Mechanismen ihre Zuneigung verteilten. Seine kräftige, warme Hand allerdings war für Sophia ein Hafen der Sicherheit. Sie fühlte sich gleich ein bisschen mutiger und atmete aus.
    »Sophia?« Seine Stimme war kaum lauter als ein Luftzug.
    »Ja?«, erwiderte sie ebenso leise.
    »Könntest du deine Kerze anzünden?«
    »Und wenn Oros uns sieht?«
    »Dann ziehe ich ihm eins mit der Keule über.«
    Sie holte das Handy aus der Hosentasche und startete die Candle-Light-App. Im Flackern der künstlichen Flamme konnte sie sämtliche Optionen ihrer geheimen Schreckensliste streichen. Sie war weder in einem Salzstock neben strahlenden Atommüllfässern gelandet noch in einem gesunkenen Schiff. »Lass mich kurz das Nürnberger Ei verstauen.«
    »Gut. Ich halte dich vorerst noch fest. Nur für den Fall, dass die Uhr zu stottern beginnt.«
    Sophia hielt sich das Messinggehäuse ans Ohr. »Im Moment läuft sie noch. Wenn sie nur stehen bleibt, passiert uns nichts?«
    »Nein. Es ist immer die innere Welt, die mit dem Räderwerk erstarrt. In diesem Fall Mekanis.«
    »Dann nimm mir bitte mal die Kerze ab.« Sie gab ihm das Handy und verstaute anschließend die Weltenmaschine im Fabergé-Ei. Während er ihren Arm festhielt und sie am Rucksack hantierte, fragte sie sich, ob er etwas dabei empfand, sie ständig zu berühren. Sie jedenfalls fühlte sich in seiner Nähe immer wohler. Das war eine durchaus überraschende Erfahrung für sie. Nach dem Trauma, das der Tod ihrer Eltern mit sich gebracht hatte, war sie nämlich eher in sich gekehrt gewesen. Die Jugendpsychologin hatte ihr aus diesem Grund auch die Theatergruppe des Internats empfohlen. Im Wechselspiel mit anderen müsse sie sich öffnen. Aus der Therapie war eine Leidenschaft geworden.
    »Da sind Pfeiler«, sagte Theo unvermittelt.
    Sie zog den Reißverschluss zu. Er gab ihr das iPhone zurück und griff rasch nach ihrer freien Linken. Im schwachen Schein des Displays sah Sophia zwar nur eine einzige mit poliertem Granit verkleidete Säule, doch die Entdeckung war vielversprechend. Sie ahnte, an was für einen Ort es sie verschlagen

Weitere Kostenlose Bücher