Der verbotene Schlüssel
ihn zu einer anderen Einschätzung kommen lässt. Warum sonst sollte sich plötzlich ein Genie wie Poseidonios mit dem Diskus beschäftigen? Und weshalb reist er damit nach Rom zu seinem alten Schüler Geminos? Weißt du, was ich denke? Ich denke, Poseidonios hat den Schlüssel gefunden, um die Macht des Buches zu bändigen. Und das, mein Lieber, ist ein guter Grund, ihn aus den Fängen der kilikischen Häscher zu befreien.«
Ich fing von meinem Freund einen Blick auf, der Bände sprach, ein stilles Da-siehst-du-es! Hatten wir die Büchse der Pandora geöffnet? Ich weigerte mich, den Gedanken zu akzeptieren. Immerhin ging es um das Wohl und Wehe meines alten, schrulligen, manchmal überheblichen, aber oft auch so geduldigen und unermesslich weisen Meisters.
Hyrkan stellte den silbernen Trinkbecher neben sich auf die Bank. »Das Beste wird sein, Herr, wir brechen sofort auf. Mit einer halben Zenturie Eurer Leibgarde müssten die Rebellen leicht zu überwältigen sein.«
Pompeius schüttelte den Kopf. »Wenn ich mit bewaffneten Soldaten in das Pomerium eindränge, wäre ich der Rebell. Nein, um nicht das Misstrauen der Wachen Roms zu wecken, bedarf es einer List. Ich werde persönlich in die Stadt einreiten. Mir steht das Recht zu, mich von meinen Liktoren schützen zu lassen. Ich nehme genug Männer mit, um das Stadthaus von Geminos zu stürmen.«
»Aber ist das nicht zu gefährlich …?« Ich klappte schnell wieder den Mund zu, weil er mein vorlautes Benehmen mit einem zornigen Feldherrenblick ahndete.
»Du sprichst nicht mit einem Haudrauf, Knabe. Ich habe Artaxata erobert, ohne einen einzigen Pfeil darauf abzuschießen. Da werde ich wohl ein Haus einnehmen können.«
»Ganz wie Ihr wollt«, sagte Hyrkan, ehe ich weitere Bedenken äußern konnte. »Wann reiten wir los?«
Pompeius lächelte. »Ich höre immer wir. Ihr beide bleibt schön hier. Als mein Faustpfand. Nur für den Fall, dass in der süßen Kirsche, die ihr mir darreicht, ein Wurm steckt. Warum leistet ihr nicht meiner Gemahlin Iulia Gesellschaft? Etwas Abwechslung tut ihr sicher gut. Derzeit ist ihr Leib zu angeschwollen, als dass sie das Haus verlassen kann – wir hoffen auf die baldige Geburt eines Stammhalters. Als Tochter von Gaius Iulius Caesar weiß sie mit wichtigen Gästen umzugehen. Lasst euch von ihr mit Delikatessen verwöhnen. Ich werde übrigens meine Liktoren anweisen, euch zu töten, falls ihr zu fliehen versucht oder ich in einen Hinterhalt gerate. Habt ihr mir noch irgendetwas zu sagen?«
Ich fühlte mich wie eine Nachtigall in einem goldenen Käfig. Obwohl ich zur Zufriedenheit von Pompeius gesungen hatte, war ich dennoch ein Gefangener. Der Mann, der den Schlüssel zu meinem Gefängnis besaß, war mit fünfzig Liktoren gen Rom ausgerückt, um das Buch der Zeit zu erbeuten. Insofern hatte Hyrkan also recht behalten: Pompeius war genauso machtbesessen wie Tigranes.
Für Kurzweil sorgte unterdessen seine hochschwangere Frau. Sie war sehr freundlich zu uns, genoss sichtlich die willkommene Abwechslung. Trotzdem hatte ich ihrem unentwegten Geplauder während des üppigen Nachtmahls kaum zugehört. Ständig musste ich an die Soldaten denken, die draußen im Garten darauf warteten, mich mit ihren Äxten zu zerstückeln. Als Hyrkan und ich endlich unser Nachtquartier beziehen durften, war ich heilfroh.
Das Zimmer ging, wie in römischen Landhäusern üblich, vom Atrium ab. Eher ungewöhnlich war die Lamellentür auf der Gartenseite, deren zwei Flügel sich nach innen öffnen ließen. Um bei seinen Gästen den Drang nach nächtlichen Spaziergängen einzudämmen, hatte Pompeius davor zwei Wachen in voller Kampfausrüstung postiert.
»Ich hätte dich nicht dazu nötigen dürfen, mich nach Alba Longa zu bringen«, flüsterte ich. Geraume Zeit starrte ich im Dunkeln nun schon an die Decke. Gelbe Lichter tanzten über mir – der durch die Türlamellen dringende Widerschein von Fackeln im Garten.
»Zerbrich dir nicht den Kopf darüber, Junge. An deiner Stelle hätte ich das Gleiche getan.«
»Wirklich?«
»Ja.«
»Weißt du was, Hyrkan?«
»Sag’s mir.«
»Seit ich meine Eltern verlassen musste, sehnte ich mich immer nach einem richtigen Freund. Ich glaube, inzwischen habe ich ihn gefunden.«
Die Stimme vom anderen Bett schwieg eine Weile. Dann sagte sie: »Ich mag dich auch, Junge. Gute Nacht, schlaf schön.«
Meine Augen fielen zu. »Gute Nacht, Hyrkan.«
Ein Geräusch ließ mich vom Lager hochschrecken. Im ersten Moment
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