Der verbotene Schlüssel
weinen begonnen hatte.
»Wo … wo ist … Obal?«, fragte Hyrkan mit schwächer werdender Stimme.
Mein Blick huschte nach rechts, wo der Zenturio bäuchlings neben seinem Kameraden lag. Aus Obals Rücken ragte die Spitze eines Kurzschwertes. »Er ist tot.«
»Bist … du sicher?«
Ich nickte, obwohl ich besonders bei diesem Mann selbst das Unmögliche für möglich gehalten hätte.
»Gut«, flüsterte Hyrkan. »Dann werde ich im Hades etwas … zu erzählen haben …«
»Du wirst wieder gesund. Ich hole Hilfe«, widersprach ich entgegen alle Vernunft.
Mein Freund bewegte den Kopf einmal hin und her. Er schloss die Augen, sammelte Kraft und sah mich dann mit seltsam friedlichem Blick an. »Ein Seemann muss wissen, wann seine letzte Reise beginnt. Leg mir eine Münze unter die Zunge, damit ich den Fährmann Charon bezahlen kann und er mich über den Styx ins Totenreich fährt. Versprichst du mir das?«
Ich nickte. Tränen tropften von meinen Wangen auf Hyrkans Gesicht. Unablässig streichelte ich seine Stirn, als könne ich dadurch sein Leben an der Flucht hindern.
Unvermittelt riss er die Augen auf. Sie schienen direkt durch mich hindurchzusehen. »Mein Junge!«
»Ich bin hier.«
Er bäumte sich auf, als fahre ihm der Todesstoß erst jetzt in den Leib. Voller Angst rief er: »Du musst deinen Meister aufhalten, Junge! Lass nicht zu, dass er die Weltenmaschine baut, hörst du?«
»Ja, ich höre dich«, erwiderte ich mit tränenerstickter Stimme.
Hyrkan sank auf den Boden zurück. »Gut. Dann … will ich nun ruhen. Mir ist so kalt. Und ich bin so müde …«
Ich glaubte zu spüren, wie das letzte Fünkchen Leben aus seinem Körper entwich. »Hyrkan!«, schluchzte ich. »Es tut mir so leid, mein Freund …«
»Das sollte es auch«, brummte plötzlich jemand aus den Schatten.
Ich hob erschrocken den Blick, zu spät zum Reagieren, aber noch rechtzeitig, um den Schlag kommen zu sehen. Er traf mich an der Schläfe. Ich hatte das Gefühl, mein Kopf würde zerplatzen. Wie ein teilnahmsloser Beobachter registrierte ich, wie mein Haupt auf Hyrkans Brust herabsank. Danach merkte ich überhaupt nichts mehr.
18
U nd ich sage, es ist zu gefährlich. Wir könnten damit die ganze Welt zerstören.« Geminos lief, aufgeregt mit den Armen in der Luft herumfuchtelnd, vor Poseidonios und mir auf und ab. Wir saßen im licht- und luftdurchfluteten Arbeitszimmer eines gemieteten Hauses in Alexandria. Ein Blick aus dem Fenster hätte uns den Gute-Heimkehr-Hafen mit seinem himmelstürmenden Leuchtturm gezeigt – der Pharos Alexandrinos war immerhin eines der sieben Weltwunder. Aber keinem stand der Sinn danach. Gerade war die Kunde von einer riesigen Flutwelle an der illyrischen Adreaküste eingetroffen. Die Naturkatastrophe hatte viele Menschenleben gekostet.
Geminos empfand sie als persönliche Niederlage, was ich nur zu gut verstand. Mir ging es mit Hyrkan ähnlich. Mein Herz übertönte den Freispruch der Vernunft, die Obal des Mordes für schuldig befunden hatte. Es verurteilte mich als Komplizen. Wenn du wirklich mein Freund bist, dann lässt du mich jetzt nicht im Stich. Mit diesen Worten hatte ich Hyrkan nach Alba Longa gelockt, zu Pompeius. In den Tod.
Mamik war über den Verlust Obals schneller hinweggekommen als über den Schmerz seiner gebrochenen Nase und des abgebrochenen Schneidezahns. »Hyrkans Vermächtnis«, nannte er spöttisch die Verunstaltungen, während er mit mir nach Ostia ritt. Im dortigen Hafen brachte er mich auf ein Schiff, wo ich meinen Mentor und dessen Lieblingsschüler wiedersah. Die Kilikier verschleppten uns nach Alexandria, in die Stadt der Gelehrsamkeit mit ihrer gewaltigen, unvergleichlichen Bibliothek. Mittlerweile arbeiteten Poseidonios und Geminos seit drei Jahren unter strenger Bewachung an dem kosmischen Mechanismus. In dieser Zeit hatten wir Höhen und Tiefen erlebt.
Bereits kurz nach der Ankunft in Ägypten schlug das Schicksal unbarmherzig zu. Der Leibdiener des Philosophen war ja mit einem Tonabdruck des Diskus nach Kreta geschickt worden, um Nachfahren der Minoer zu finden. Sie sollten bei der Entzifferung missverständlicher Schriftzeichen helfen. Auf der Rückreise wurde Agamemnons Schiff – was für eine Ironie! – von Seeräubern versenkt. Seitdem fehlte jede Spur von ihm.
Und nun dieser neuerliche Rückschlag. Waren all die Mühen vergebens gewesen? Die zahllosen Entwürfe und Skizzen, die man erstellt und wieder verworfen hatte? Die erduldeten Widrigkeiten,
Weitere Kostenlose Bücher