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Der verbotene Schlüssel

Titel: Der verbotene Schlüssel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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während das große Ziel – der Bau einer Weltenmaschine – immer näher kam? Niemand im Raum vermochte die Betroffenheit über die mörderische Flutwelle an der illyrischen Adriaküste zu verbergen. Die spätsommerliche Hitze war dem Gefühl eisiger Kälte gewichen.
    Geminos hatte dem kosmischen Mechanismus ohnehin stets skeptisch gegenübergestanden. Mir kamen die letzten Worte meines Freundes Hyrkan in den Sinn. Du musst deinen Meister aufhalten, Junge! Lass nicht zu, dass er die Weltenmaschine baut, hörst du? Leider war mir das nicht gelungen. Poseidonios hatte seinen Plan trotz aller Widrigkeiten unbeirrt weiterverfolgt. Wie ein Besessener. Und auch jetzt war er es, der die Unglücksbotschaft am leichtesten wegsteckte.
    »Woher nehmt Ihr die Gewissheit, dass unser Mechanismus die Flutwelle ausgelöst hat?«
    Geminos warf die Arme in die Luft. »Das sagt mir der klare Menschenverstand. In meinem Haus in Rom habt Ihr gemeint, wir könnten zunächst an weniger gefährlichen Bauteilen Erfahrungen sammeln und die gesamte Maschinerie erst zum Schluss zusammensetzen. Kaum haben wir damit angefangen, lösen wir eine neue Katastrophe aus.«
    Je mehr sich Geminos aufregte, desto ruhiger schien Poseidonios zu werden. »Bis jetzt habt Ihr nur einen kleinen Teil des Großen und Ganzen tatsächlich gebaut, mein Lieber. Und der taugt, wie wir beide wissen, lediglich dazu, den Lauf der wichtigsten Gestirne einschließlich der Verfinsterung von Sonne und Mond vorherzusagen. Vom Rest der Maschine gibt es nur eine Zeichnung und viele Notizen.«
    Geminos schüttelte wütend den Kopf »Ich verstehe nicht, dass Ihr die Augen vor einer Wahrheit verschließt, die Ihr selbst längst erkannt haben müsst. ›Das Nachsinnen steht am Anfang jeder Änderung‹, lautete immer Euer Leitspruch. Es sindunsere Pläne, die das Unglück ausgelöst haben. Unsere frevelhaften Gedanken .« Er deutete auf den Holzkasten, der die von Poseidonios erwähnte Apparatur barg. Sie war aus über dreißig bronzenen Zahnrädern zusammengesetzt, die in Wechselbeziehung zur Zeit standen. Ihre Bewegungen übertrugen sich auf Zeiger, die man auf einer eng beschrifteten Anzeigetafel vorne sowie auf zwei weiteren Skalenscheiben auf der Rückseite ablesen konnte. »Ich gehe mit Euch einig, dass dieses Horolog keine Flutwellen auslöst. Dazu bräuchte man die ganze Maschine. Wenn sie uns trotzdem heimsuchen, dann gibt es dafür nur eine Erklärung.«
    »Jaja.« Poseidonios winkte ab. »So senil bin ich noch nicht, dass Ihr Euch ständig wiederholen müsstet. Katastrophen geschehen auch ohne unser Zutun. Aus der Nähe zweier Ereignisse kann man nicht zwingend auf einen Zusammenhang schließen. Ihr seht immer nur den halb leeren Becher, ich freue mich über den halb vollen . Obwohl Mamik und die anderen Schergen von Tigranes unser Haus belagern, sind wir in den letzten drei Jahren gut vorangekommen. Auf dem Reißbrett ist die Weltenmaschine so gut wie fertig. Nur mit der Umsetzung in eine funktionierende Apparatur hapert es noch. Betrachtet es mal so: Wenn wir das Unglück in Illyrien ausgelöst haben, dann bestätigt das unsere Theorie von der Fernwirkung . Bisher haben wir nur angenommen, dass ein nach den Prinzipien der Weltenformel arbeitendes Räderwerk sich auf die ganze Welt auswirken kann. Jetzt haben wir womöglich den Beweis.«
    »Meister!«, keuchte Geminos. »Wisst Ihr, was Ihr da sagt? Wie viele Flutwellen, Erdbeben, Vulkanausbrüche und Wirbelstürme wollt Ihr denn heraufbeschwören, bis der Mechanismus zu Eurer Zufriedenheit funktioniert?«
    »Nur so viele, wie nötig sind«, antwortete Poseidonios ungerührt.
    Ich erschauerte, nicht allein ob der zynischen Antwort meines Mentors, sondern auch wegen seiner erschreckend kalten Stimme. Es klang fast so, als redete ein anderer aus ihm.
    »Ist der Mechanismus nicht viel zu sperrig?«, gab ich zu bedenken. »Die ganze Weltenmaschine würde so groß werden wie Kleopatras Palast.« Ich war inzwischen vierzehn, stand also an der Schwelle zum Mannesalter. Als wandelnder Krückstock für Poseidonios eignete ich mich schon lange nicht mehr, weil das Blut der Kimbern meine Gliedmaßen sprießen ließ wie Korn im Sommerregen. Die kräftige Statur hatte mich selbstbewusster gemacht, meine Wissbegier war ungebrochen und ich hatte in den letzten Jahren viel über den kosmischen Mechanismus gelernt.
    Poseidonios verzog unwillig das Gesicht und wedelte mit der Hand in Richtung Holzkasten. »Sofern wir ihn im selben

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