Der verbotene Schlüssel
Weltenmaschine. Ich bleibe hier und arbeite weiter an der Verfeinerung der Pläne. Nur eine Bitte hätte ich an Euch.«
»Ja?«, stieß Poseidonios hervor. Seine Augen glänzten vor Erregung wie im Fieber.
»Sagen unsere Dichter nicht über die Götter, wir seien von ihrer Art? Wenn also der Götterfunke in uns glüht, solltet Ihr ihn nicht auslöschen, indem Ihr das Herz eines Menschen anhaltet.«
Der Philosoph musterte seinen Schüler intensiv. »Ich werde darüber nachdenken.«
»Kommt bitte ins Licht, Mamik.« Poseidonios winkte den Mann, den er insgeheim seinen Kerkermeister nannte, mit großväterlicher Miene zu sich heran. Nur eine kleine Öllampe erhellte den Umkreis des Arbeitstisches. Die Nacht war schon vorgerückt. Geminos schlief längst den Schlaf der Gerechten. Ich hatte mich in alter Gewohnheit auf einer Liege im Arbeitszimmer zusammengerollt, um meinem Meister jederzeit zu Diensten zu sein.
Aus den Schatten heraus beobachtete ich, wie der riesige Kilikier sich mit der Wachsamkeit einer großen Raubkatze dem Philosophen näherte. Im Unterschied zu der Uniform des römischen Legionärs, die Mamik vor drei Jahren abgelegt hatte, hingen Schwert und Dolch nach wie vor an seinem Gürtel. Alle Gefangenen wussten, dass er nicht zögern würde, sie auch zu benutzen, sollte einer von ihnen einen Fluchtversuch wagen. »Seid Ihr heute mit Eurer Arbeit vorangekommen, Herr?«
»Jeden Tag ein kleiner Schritt«, antwortete Poseidonios mit seiner kratzigen Stimme fröhlich wie ein verschrobener Greis.
»Tigranes wird allmählich ungeduldig.«
»Aus diesem Grund habe ich Euch zu mir gebeten. Er hat Euch, wie mir erzählt wurde, einen Brief geschickt. Stimmt es, dass Ihr uns alle töten sollt, wenn wir bis zum Ende des Jahres keine brauchbaren Ergebnisse vorweisen?«
»Behauptet das Geminos?«, entgegnete der Kilikier mit gespielter Entrüstung.
Der Philosoph lächelte. »Vielleicht hat er es ein klein wenig anders ausgedrückt. Versprecht Ihr mir etwas, Mamik?«
»Kommt drauf an, was«, brummte der Hüne argwöhnisch.
»Ich möchte Euer Wort, dass Ihr uns bis Ablauf des Jahres nicht umbringt, sofern wir Euch keinen Anlass dazu geben.«
»Wenn meine Befehle sich nicht ändern, könnt Ihr da völlig unbesorgt sein, Herr.«
Poseidonios legte die Linke offen auf den Tisch und streckte dem Legionär die Rechte entgegen. »Lasst es uns wie Ehrenmänner mit Handschlag besiegeln.«
Ich erschauderte, weil mich eine dunkle Ahnung beschlich. Niemand beachtete mein vorsichtiges Heben des Kopfes.
Mamik sah nur den Philosophen an. Der Argwohn stand ihm ins Gesicht geschrieben. Wahrscheinlich fragte er sich, welche Tücken in einem so zerbrechlichen Greis stecken mochten. Ein Riese wie er konnte dieses Genie aus Haut und Knochen am ausgestreckten Arm verhungern lassen. So ungefähr musste der Hüne gedacht haben, als seine Miene sich entspannte. Er war gehalten, die beiden Koryphäen aus Rhodos bei Laune zu halten. Wenn ihm dies mit einer so schlichten Geste gelang, würde er sich wohl kaum etwas vergeben.
Somit schlug er ein.
Im nächsten Moment riss er die Augen auf. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer grauenhaften Grimasse. Ruckhaft langte er sich an die linke Brust, die Finger der Rechten zu einer Kralle gekrümmt. Seine Qual musste unvorstellbar sein, der Schmerz so mörderisch, dass er nicht einmal mehr schreien konnte. Nur ein erstickter Laut gurgelte aus seiner Kehle. Sein Blick wurde glasig, als tauchte der Geist des Kriegers in tiefe Dunkelheit hinab.
Plötzlich strahlten im Zimmer zwei helle Lichter auf. Nie hatte ich die Augen meines Meisters so gleißen gesehen. Ich riss den Arm vors Gesicht. Blind, wie ich dadurch war, hörte ich ein Poltern und danach Mamiks letzten, verkrampften Atemzug.
Als ich wieder hinter dem Arm hervorlugte, war es im Raum so zwielichtig wie zuvor. Poseidonios schritt bedächtig um den Schreibtisch herum und blickte auf die Leiche herab. Er war sichtlich erschüttert.
»Ich hätte nie gedacht, dass es so leicht sein könnte, einen Menschen zu töten«, murmelte er. »Und zugleich so schwer.«
Dann lief er zur Tür, die zum Atrium führte. Plötzlich hielt er inne.
Ich ließ rasch meinen Kopf auf die Liege sinken und stellte mich schlafend. Erst als ich hörte, wie Poseidonios die Tür öffnete, wagte ich erneut, die Augen zu öffnen.
»Hilfe!«, rief Poseidonios wie ein armseliger Tattergreis. »Kommt geschwind. Mit Mamik stimmt irgendetwas nicht.«
Binnen weniger
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