Der verbotene Schlüssel
Maßstab bauen würden wie das Horolog hier, hättest du sicher recht.«
Geminos schnaubte. »Tigranes verliert allmählich die Geduld mit uns. ›Da unser Vorhaben keine Ergebnisse zeitigt‹, hat Mamik mir gestern aus einem Brief vorgelesen …«
»Warum erfahre ich das erst jetzt?«
»Weil Ihr sowieso nicht zuhört. Weder mir noch Theo, der eben einen klugen Einwand gebracht hat. Ihr habt nur Augen und Ohren für den kosmischen Mechanismus. Mamik sagte, bis zum Ende des Jahres versiegt die Quelle, die uns Geld und Schutz gewährt hat. Wie treiben wir dann die Mittel für ein Räderwerk von solch gewaltiger Größe auf?«
»Ganz einfach. Wir bauen kleiner. Wenn die Einzelteile winziger sind als eine Laus, schrumpfen auch die Kosten.«
»Und wer soll sie anfertigen? Ich jedenfalls nicht.« Geminos zeigte abermals auf den Holzkasten. »Mit diesem Apparat musste ich schon an die Grenzen meines Könnens gehen. Abgesehen davon ist die vollständige Maschine niemals bis Jahresende fertig.«
Poseidonios zog eine Augenbraue hoch und entgegnete merklich leiser: »Wollten wir nicht ohnehin unsere Bewacher abschütteln, sobald wir uns die Macht aus dem Buch der Zeit erschlossen haben? Ich fühle diese Urgewalt täglich in mir wachsen. Zweifellos könnte ich mit einer Berührung der Hand jedes Menschenherz zum Stehen bringen.«
»Das wäre Mord! «, raunte Geminos. Er wirkte betroffen.
»Ich spreche von Notwehr, mein Lieber. Ihr selbst habt gesagt, dass Tigranes uns seinen Schutz entziehen möchte. Bei dem, was wir über seine Absichten wissen, kann das nur eins bedeuten: Er will uns ermorden.«
»Ihr bringt es noch fertig, mich erneut mit Eurer Redekunst einzulullen«, beklagte sich Geminos. »Nach der Flutwelle will ich die Weltenmaschine eigentlich nicht mehr bauen. Allein die Vorstellung, dass ein prinzipienloser Machtmensch sie in die Finger bekommen könnte, macht mich krank. Ich finde, der Diskus von Ys hat den Menschen schon genug Unglück gebracht. Schaffen wir ihn und unsere Pläne in die Alexandrinische Bibliothek. Dort sind sie gut aufgehoben. Wir beide kennen den Ersten Bibliothekar. Er ist ein besonnener Mann und wird alles sicher für die Nachwelt verwahren. Vielleicht findet sich in tausend Jahren jemand, der weiser und fähiger ist als wir.«
Ich ahnte, was Poseidonios durch den Kopf ging, während seine schwarzen Augen Geminos musterten. Mein Meister war vierundachtzig. Wenngleich die Arbeit am kosmischen Mechanismus ihn regelrecht hatte aufblühen lassen, waren die ihm verbleibenden Tage gezählt. Da konnte man es ihm kaum verdenken, dass er die Mühen der vergangenen drei Jahre nicht so einfach in den Wind schreiben wollte.
Er träumte wohl sogar davon, den natürlichen Lauf der Dinge zu überlisten und mithilfe der Weltenmaschine den Alterungsprozess anzuhalten oder umzukehren. Ich habe dies aus einer Bemerkung geschlossen, die er einige Monate zuvor mir gegenüber gemacht hatte. Vielleicht gewähre ihm die kosmische Apparatur einen Blick in die Zukunft, sagte er, und zeige ihm ein Lebenselixier, das ihn wieder jung mache. Doch nichts dergleichen erwähnte der Alte jetzt, da er endlich seine Stimme wiedergefunden hatte. Stattdessen bot er seinem Freund einen Kompromiss an.
»Lasst mich den astronomischen Mechanismus, den Ihr nach unseren Plänen als Muster gebaut habt, in Rom verkaufen. Man kann damit die besten Zeiten für Saat und Ernte vorhersagen. Das Wissen um nahende Sonnen- und Mondfinsternisse ließe sich zudem auch politisch und militärisch nutzen. Dank Eures Spieltriebs zeigt das Horolog sogar die nächste Olympiade an. So erreichen wir eine große Käuferschaft. In Rom herrscht fürwahr kein Mangel an reichen und mächtigen Leuten. Etliche von ihnen kennen und die meisten schätzen mich. Sie werden uns den Apparat aus den Händen reißen. So können wir genug Geld verdienen, um die Weltenmaschine in großem Maßstab und mit aller gebotenen Sorgfalt zu verwirklichen.«
Geminos zögerte. So wie er zuvor argumentiert hatte, blieb ihm keine andere Wahl, als die Idee in Bausch und Bogen abzulehnen. Ließ ihn der Respekt vor seinem alten Lehrer zögern? Oder mangelte es ihm an Mut? Er begann zu nicken, erst kaum wahrnehmbar, dann sehr nachdrücklich. »Euer Vorschlag klingt vernünftig, Meister. Es wäre ja auch schade um all die Entbehrungen, die wir in den vergangenen drei Jahren auf uns genommen haben. Nehmt meinen Musterapparat, fahrt damit nach Rom und sammelt Geld für den Bau der
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