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Der verbotene Schlüssel

Titel: Der verbotene Schlüssel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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friedliches, verträumtes Lächeln. Schnell wurde es vom Dunkel der Tiefe umhüllt. Das Letzte, was ich von meinem Meister sah, waren zwei gleißend helle Augen.

19
    S ophia starrte benommen auf den Laptop. Sie hatte ihn bei Hyrkans Todeskampf auf den lilafarbenen Teppich gestellt, um Theos zitternde Rechte mit beiden Händen festzuhalten. Jetzt war er aufgestanden, vorgeblich um seinen trockenen Mund »mit dem klebrigen Sirup« durchzuspülen – damit meinte er die Cola.
    Seine Selbstvorwürfe konnte sie gut verstehen. Ihr war es genauso gegangen, als sie den Tod ihrer Eltern verarbeiten musste. Vor allem die Schuldgefühle hatten ihr lange zugesetzt. Sie glaubte, die beiden im Stich gelassen zu haben, weil sie wegen einer Darmgrippe in Pforzheim geblieben war …
    Hatte Oros auch sie umbringen wollen?
    Sie schüttelte ärgerlich den Kopf und wandte sich wieder Theo zu, der lustlos an dem Strohhalm saugte. »Wie hast du das überlebt?«
    Er sah sie über den Deckel des Pappbechers hinweg an. »Die richtige Frage müsste lauten: Wo hast du das überlebt?«
    Sie verdrehte die Augen. »Na schön: Wo hast du das überlebt?«
    »Das weißt du bereits: im Labyrinth der Zeit.«
    »Aber die Weltenuhr gab es doch noch gar nicht.«
    Theo stellte den Becher auf das viereckige Tischchen und bückte sich nach der Tüte mit den Jeans. Während er die blauen Hosen herauszog und gründlich begutachtete, antwortete er: »Scheinbar hörst du mir nicht richtig zu. Der kosmische Mechanismus existierte sehr wohl« – er tippte sich an die Schläfe –, »und zwar im Kopf meines Meisters und in den Zeichnungen der beiden Genies. Nichts beweist das deutlicher als der Traum von Mekanis, den Poseidonios mir zuletzt beschrieben hat. Er sah die Welt bereits und wusste, wie alle ihre Teile zusammenspielen würden. Für ihn fehlte nur noch der Anstoß, um alles in Gang zu setzen. Der musste allerdings aus der richtigen, der äußeren, der Menschen welt kommen. Deshalb stand der Mechanismus still, als ich hineingeriet, und ich erstarrte ebenfalls. Jahrhundertelang blieb ich ein zur Untätigkeit verurteilter Beobachter.«
    »Wow!«
    »Du sagst es.«
    »Also warst du gefangen in einem Gedankengebäude? Man sagt zwar, die Gedanken sind frei, aber dass sie so frei sind, das übersteigt mein Vorstellungsvermögen.«
    »Mein Lehrer pflegte zu sagen: ›Gedanken sind das Blut der Fantasie, und was der Mensch durch sie erschafft, ist der geronnene Saft der Schöpferkraft.‹« Theo machte sich an die Erkundung der anderen Tüten.
    »Klingt hübsch. Und irgendwie stimmt’s wohl. Ohne Verstand keine Kreativität und ohne Kreativität kein Fortschritt. Gedanken sind die Triebfedern allen Handelns. Sie verändern die Welt.«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein, Gedanken schaffen Welten.«
    Sie nickte. »Ich hab’s begriffen. Weißt du, was aus Geminos geworden ist?«
    »Er starb in Alexandria.«
    »Einfach so?«
    Theo seufzte. »Nein, in dieser merkwürdigen Geschichte geschieht nichts einfach so. Als ich im Labyrinth der Zeit feststeckte, passierte mir etwas Sonderbares: Ich war sozusagen ein Teil der Zeichnung geworden …«
    »Du meinst, des Entwurfes, des Konstruktionsplanes?«
    Er nickte. »Ich konnte alles sehen und hören, was im näheren Umfeld der Zeichnung geschah. Geminos war damit in ein anderes Quartier umgezogen. In dem Haus, das Tigranes für sie gemietet hatte, fühlte er sich nicht mehr sicher. Etwa drei Jahre lang beschäftigte er sich noch intensiv mit den Plänen. Er suchte auch wieder häufiger die Alexandrinische Bibliothek auf, um die letzten Geheimnisse des Diskus von Ys zu lüften. Er könne ja nicht dazu geschaffen worden sein, die Welt zu vernichten, murmelte er einmal über den Plänen. Die Weisen von Ys hätten doch gehofft, er werde eines Tages von einem Freund der Götter gefunden, dessen Edelmut stärker sei als die Gier nach Macht, einem Menschen, der unschuldig sei wie ein Kind.«
    »Hat er je damit begonnen, den kosmischen Mechanismus im Ganzen zu bauen?«
    »Dazu kam es nicht mehr, obwohl er nichts unversucht ließ. Er hatte Kontakt zur gehobenen Gesellschaft von Alexandria aufgenommen, um für seine Forschungen Geld zu beschaffen. Seine Gelehrsamkeit sprach sich herum. Bald verkehrte er in den allerhöchsten Kreisen und konnte sich mit dem gerade achtzehnjährigen Paki auch einen ägyptischen Diener leisten. Schließlich gewann er sogar die Bewunderung der jungen Königin Kleopatra. Doch alles geriet aus dem Ruder,

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