Der verbotene Turm - 11
geschlossenen Augen. Die Sonne schien ihr auf die Lider. In der Nacht hatte sie im Schlaf gef ü hlt, dass der Sturm abflaute, der Schneefall endete und die Wolken verschwanden. Heute Morgen schien die Sonne. Callista streckte ihren K ö rper und genoss das herrliche Gef ü hl, ganz ohne Schmerzen zu sein. Immer noch war sie schwach und ausgelaugt, obwohl sie vermutete, sie habe nach jener f ü rchterlichen Tortur zwei oder drei ganze Tage hintereinander geschlafen. Danach war sie noch ein paar Tage im Bett geblieben, um neue Kr ä fte zu sammeln, obwohl sie sich ganz gut f ü hlte. Sie wusste, an erster Stelle kam jetzt die Wiederherstellung ihrer Gesundheit, die fr ü her immer ausgezeichnet gewesen war, und das w ü rde Zeit kosten.
Und wenn sie gesund war, was dann? Aber sie verbot sich das Gr ü beln. Wenn sie damit erst einmal anfing, bekam sie keinen Frieden mehr.
Sie war allein im Zimmer. Auch das war ein Luxus. Callista hatte so viele Jahre allein verbracht, dass sie jetzt das Alleinsein ebenso sch ä tzte, wie sie es in den schweren Jahren ihrer Ausbildung gef ü rchtet hatte. Und solange sie krank war, hatte man sie nie f ü r einen Augenblick allein gelassen. Sie kannte den Grund – f ü r jeden in ihrem Zustand h ä tte sie, ohne zu z ö gern, dasselbe angeordnet –, und sie war dankbar f ü r die F ü rsorge und unendliche Liebe der anderen. Doch nun war es sch ö n, aufzuwachen und zu wissen, dass sie wieder allein war.
Sie ö ffnete die Augen und setzte sich im Bett auf. Andrews Bett war leer. Vage erinnerte sie sich, dass sie ihn im Schlaf geh ö rt hatte, wie er umherging, sich anzog und das Zimmer verließ. Da der Sturm vorbei war, gab es ü berall auf dem Gut bestimmt eine Menge Arbeit. Ebenso im Haus. Ellemir hatte so viel Zeit an ihrem Krankenlager verbracht, dass sie ihre Haushaltspflichten hatte vernachl ä ssigen m ü ssen.
Callista entschloss sich, heute Morgen nach unten zu gehen. In der vergangenen Nacht war Andrew wieder bei Ellemir gewesen. Sie hatte eine undeutliche Wahrnehmung empfangen und sich mit der alten Disziplin davon abgewandt. Kurz vor Mitternacht war er hereingekommen, ganz leise, um sie nicht zu st ö ren, und sie hatte getan, als schlafe sie.
Ich bin t ö richt und unfreundlich, schalt sie sich selbst. Ich wollte, dass es geschah, und ich bin ja auch ehrlich froh dar ü ber, und doch konnte ich ihn nicht ansprechen und es ihm sagen. Aber auch diese Gedankenreihe f ü hrte nirgendwohin. Es gab nur eins, was sie tun konnte, und dazu musste sie ihre ganze Kraft zusammennehmen: Jeden Tag durchleben, so gut es ging, ihre Gesundheit wiedergewinnen, Damons Versprechen trauen. Andrew liebte und begehrte sie immer noch, ü berlegte sie mit einer klinischen Objektivit ä t, die ihr nicht als Bitterkeit bewusst war. Sie konnte sich nicht vorstellen, warum er es tat. Nein, wirklich, es hatte keinen Sinn, ü ber das eine nachzugr ü beln, das sie noch nicht teilen konnten. Entschlossen stand Callista auf und ging ins Bad.
Callista zog einen blauen Wollrock und eine weiße Strickjacke mit langem Kragen an, den sie wie einen Schal umwickeln konnte. Seit langer Zeit f ü hlte sie sich zum ersten Mal hungrig. Unten hatten die M ä dchen den Fr ü hst ü ckstisch abger ä umt. Der Stuhl ihres Vaters war ans Fenster gerollt worden. Er blickte hinaus in den ganz zugeschneiten Hof, wo ein paar dick vermummte M ä nner etwas von dem Schnee wegr ä umten. Callista ging zu ihrem Vater und k ü sste ihn.
Geht es dir wieder gut, Tochter?
Schon viel besser , antwortete sie, und er winkte ihr, sich neben ihn zu setzen. Mit zusammengekniffenen Augen forschte er in ihrem Gesicht.
Du bist d ü nner geworden. Zandrus H ö lle, M ä dchen, du siehst wie von Alars Wolf abgenagt aus! Was hat dir gefehlt? Oder sollte ich nicht fragen?
Callista hatte keine Ahnung, ob Andrew oder Damon ihm irgendetwas gesagt hatten. Nichts Besonderes. Frauenbeschwerden.
Mach mir das nicht weis , polterte ihr Vater. Du bist nicht wehleidig. Die Ehe scheint dir nicht zu bekommen, mein M ä dchen. An seinem Gesicht erkannte sie, dass er ihr innerliches Zur ü ckschrecken wohl bemerkt hatte. Schnell lenkte er ein. Nun, nun, Kind, ich weiß seit langem, dass die T ü rme ihre Macht ü ber diejenigen, die ihnen einmal angeh ö rten, nicht leicht aufgeben. Ich erinnere mich gut, dass Damon l ä nger als ein Jahr wie eine verlorene Seele im Vorhof der H ö lle umherirrte. Unbeholfen t ä tschelte er ihren Arm. Ich werde
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