Der Verehrer
hatte doch nicht die Angespanntheit vorgeherrscht, die Robert stets um sich herum verbreitet hatte. Auf einmal fiel das Atmen leichter.
Als sie im Auto saßen und durch die dunkle Stadt fuhren, sagte Leona: »Meine Mutter erzählte mir, du habest mich in Ascona anrufen wollen. Irgend etwas wegen Robert.«
»Ich habe angerufen«, sagte Wolfgang, »aber niemand ging an den Apparat.«
»Was war denn los?«
»Ach – im nachhinein kommt es mir albern vor. Es hat sich ja ohnehin alles erledigt. Aber die Nachbarin von dieser Selbstmörderin, diese Lydia Sowieso, hat mich angerufen. « Er berichtete, was er von Lydia erfahren hatte. »Das kam mir komisch vor, und ich wollte es dir sagen.«
»Wie kam Lydia darauf, dich anzurufen?«
Er zögerte. »Ich hatte sie gebeten, sich bei mir zu melden, wenn ihr wegen Jablonski etwas Eigentümliches einfällt«, gestand er dann. »Ich weiß, das war unmöglich von mir. Aber ich hatte so ein dummes Gefühl. Ich konnte es mir nicht ausreden, sosehr ich es versuchte.«
»Über genau diese Sache«, sagte Leona, »ist unsere Beziehung letztlich zerbrochen. Über der Sache mit der Freundin, meine ich.«
Sie erzählte kurz von Millie in Ascona und den Auskünften, die sie ihr gegeben hatte.
»Das brachte das Faß zum Überlaufen«, schloß sie, »aber es war auch vorher schon einiges passiert. Ich fühlte mich nur noch unsicher und verwirrt. Ich wußte, daß die ganze Geschichte keinen Sinn mehr hat.«
»Hast du dir schon mal überlegt, daß dieser Mann vielleicht wirklich nicht ganz normal ist?« fragte Wolfgang. »Daß er – in einem medizinischen Sinn – krank ist?«
Sie lachte etwas mühsam. »Du übertreibst. Ich glaube nicht, daß er krank ist. Er hat nur einfach eine sehr schwierige Persönlichkeitsstruktur. Er ist wahnsinnig eifersüchtig und übermäßig besitzergreifend. Zutiefst unsicher wahrscheinlich. Von schrecklichen Verlustängsten geplagt. Er will sich den Menschen, den er liebt, mit Haut und Haaren zu eigen machen.«
»Das klingt wie die Beschreibung eines klassischen Psychopathen«, sagte Wolfgang , rollte an den Straßenrand und bremste. »Wir sind da!«
Dankbar, einer Antwort enthoben zu sein, stieg Leona aus.
»Danke, Wolfgang. Es war ein sehr netter Abend.«
Er hatte das Auto ebenfalls verlassen.
»Ich bringe dich noch zur Haustür. Man weiß nie …«
Sie überlegte, ob er damit auf Robert anspielte. Das Wort Psychopath dröhnte in ihrem Kopf.
Sei nicht albern, befahl sie sich, wenn du nicht aufpaßt, steigerst du dich ganz schnell in etwas hinein.
Sie ging vor ihm her den Gartenweg entlang. Die Büsche rechts und links verströmten den Geruch von Frühling. Nicht mehr lange, und alles würde blühen – wild und bunt wie am Lago Maggiore.
Auf den Stufen vor der Haustür lag etwas. Leona konnte
nicht sofort identifizieren, was es war. Es sah aus wie ein weggeworfenes Kleidungsstück oder ein Schuh. Im Näherkommen erkannte sie graues Fell und hörte ein leises Wimmern.
»O Gott, Dolly! Das ist Dolly!«
Sie ließ ihre Handtasche fallen, kniete neben der Katze nieder.
»Wer ist Dolly?« fragte Wolfgang verwirrt.
»Eine meiner Katzen. Wolfgang, um Himmels willen, wir müssen ihr helfen! Sie ist krank. Ich glaube …«
»Ganz ruhig. Wir bringen sie erst einmal ins Haus. Ist der Schlüssel in deiner Handtasche?«
»Ja.«
Leona hob Dolly vorsichtig hoch. Der zarte Körper war völlig verkrümmt und verkrampft. Dolly maunzte, versuchte ihr Köpfchen zu heben. Ihre Augen brachen.
Ihr Körper wurde schlaff, der Kopf fiel zurück.
Leona schossen die Tränen in die Augen.
»Sie ist tot! Sie ist tot!«
Mit der toten Katze im Arm folgte sie Wolfgang ins Haus. Linda kam ihnen mit hocherhobenem Schwanz entgegen.
Wolfgang neigte sich über Dolly. »Ich kenne mich da nicht besonders gut aus«, sagte er, »aber ich meine, das war Gift.«
Leona sank auf einen Stuhl.
»Wie furchtbar«, flüsterte sie.
»Leona, du mußt jetzt vernünftig bleiben«, sagte Wolfgang. »Es gibt überhaupt keinen Hinweis darauf, daß Jablonski deine Dolly vergiftet hat.«
Eine Stunde war vergangen. Sie hatten Dolly in einen mit einem Seidentuch ausgeschlagenen Karton gebettet.
Leona wollte sie am nächsten Morgen im Garten begraben. Der Anblick des noch im Tode gequält wirkenden Katzengesichts zerriß ihr fast das Herz.
»Sie war so ein liebes Tier«, schluchzte sie, »sie hat nicht einmal Mäuse gefangen. Ich hätte sie nie rauslassen dürfen. Sie war zu arglos. Zu
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